Von DR. ARTUR KÜHNEL, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner
Wird für ein befristetes Arbeitsverhältnis eine Probezeit vereinbart, so muss diese im Verhältnis zu der erwarteten Dauer der Befristung und der Art der Tätigkeit stehen (§ 15 Abs. 3 TzBfG). In einer aktuellen Entscheidung hat sich das BAG erstmalig hierzu geäußert. Zudem hat sich das BAG auch dazu geäußert, welche Folgen eine unangemessen lange Probezeit hat.
Anm.: Dieser Blogbeitrag ist in leicht abgewandelter Form auch als Beitrag im Expertenforum Arbeitsrecht (#EFAR) erschienen: Die angemessene Dauer der Probezeit im befristeten Arbeitsverhältnis – erste Hinweise des BAG

Regelung relativ neu und unbestimmt
§ 15 Abs. 3 TzBfG in der aktuellen Fassung ist zum 1.8.2022 in Kraft getreten und setzt die Vorgabe im entsprechend formulierten Art. 8 Abs. 2 S. 1 der Arbeitsbedingungen-Richtlinie ((EU) 2019/1152) um. In Erwägungsgrund 28 der Arbeitsbedingungen-Richtlinie heißt es dazu u.a.: „Zahlreiche Mitgliedstaaten haben eine generelle Höchstdauer der Probezeit zwischen drei und sechs Monaten festgesetzt, die als angemessen gelten sollte. (…) Bei befristeten Arbeitsverhältnissen mit einer Dauer von weniger als zwölf Monaten sollten die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass die Probezeitdauer angemessen ist und im Verhältnis zur erwarteten Dauer des Vertrags und der Art der Tätigkeit steht.“
Weder die Arbeitsbedingungen-RL noch § 15 Abs. 3 TzBfG enthalten Regelungen zur zulässigen absoluten oder relativen Dauer der Probezeit im befristeten Arbeitsverhältnis. Der europäischen Normgeber hat einen Vorschlag, dass bei Befristungen mit einer Dauer von weniger als 12 Monaten die Probezeit höchstens 25 % der erwarteten Vertragsdauer betragen dürfe, nicht aufgegriffen. Auch der deutsche Gesetzgeber hat keine nähere Ausgestaltung vorgenommen.
Angemessene Dauer der Probezeit umstritten
Die Frage, welches Verhältnis von Befristungsdauer und Probezeit angemessen ist, ist vor diesem Hintergrund erwartungsgemäß umstritten.
In der arbeitsrechtlichen Literatur (siehe Nachweise bei BAG, Urteil vom 5.12.2024 – 2 AZR 275/23) werden folgende Ansichten vertreten:
- Nach einer Ansicht soll in der Regel eine Probezeitdauer von regelmäßig 50 % der Befristungsdauer bis maximal sechs Monaten angemessen sein, wobei im Einzelfall Abweichungen in beide Richtungen aufgrund der Art der Tätigkeit möglich sein sollen.
- Nach einer anderen Ansicht dürfe eine Probezeit nur 25 % der Befristungsdauer betragen.
- Teilweise wird auch angenommen, dass die Höchstdauer der Probezeit bei befristeten Arbeitsverhältnissen proportional anzupassen sei, wobei die Probezeit in jedem Fall weniger als sechs Monate betragen solle.
- Ferner wird vertreten, dass jedenfalls bei einer Befristungsdauer von weniger als zwölf Monaten eine Probezeit von sechs Monaten nicht mehr pauschal möglich sei.
- Schließlich wird unter Berufung auf die gesetzlichen Wertungen von § 622 Abs. 3 BGB und § 1 Abs. 1 KSchG der Standpunkt eingenommen, eine sechsmonatige Probezeit solle auch im befristeten Arbeitsverhältnis immer angemessen sein.
Zu der Frage gibt es zudem bereits einzelne Entscheidungen von Landesarbeitsgerichten:
- LAG Schleswig-Holstein (Urteil vom 18.10.2023 – 3 Sa 81/23): Als Probezeit ist grundsätzlich die Hälfte der Befristungsdauer angemessen, wobei im arbeitgeberseitig zu belegenden Einzelfall aufgrund der Art der Tätigkeit auch eine längere Probezeit möglich ist. Bei einem ausdrücklich zur Probe befristeten Arbeitsverhältnis, das danach vertraglich als unbefristetes Arbeitsverhältnis fortgeführt werden soll, ist hingegen eine sechsmonatige Probezeit immer angemessen.
- LAG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 2.7.2024 – 19 Sa 1150/23; Revision anhängig beim BAG zum Az. 2 AZR 160/24): Jedenfalls bei einer einjährigen Befristung ist eine Probezeit von 25 % der Befristungsdauer im Regelfall angemessen.
Aktuelle Entscheidung des BAG
Das BAG hat sich in einer aktuellen Entscheidung (BAG, Urteil vom 5.12.2024 – 2 AZR 275/23 – Vorinstanz: oben genannte Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein) mit der Frage befasst.
In dem vom BAG entschiedenen Fall ist unter „§ 1 Beginn des Arbeitsverhältnisses, Probezeit“ des Arbeitsvertrages vom 22.8.2022 vereinbart worden,
- dass eine Einstellung zum 1.9.2022 zunächst zur Probe bis zum 28.2.2023 (sechs Monate) erfolgt und
- dass das Probearbeitsverhältnis endet, ohne dass es einer Kündigung bedarf, sowie
- dass es, wenn es nach Ablauf der Probezeit fortgesetzt wird, es als auf unbestimmte Zeit begründet gilt, und
- dass es während der Probezeit beiderseits mit einer Frist von zwei Wochen schriftlich gekündigt werden kann.
Arbeitgeberseitig erfolgte eine Kündigung vom 28.10.2022 zum 11.11.2022.
Diese vertragliche Regelung hat das BAG dahingehend ausgelegt, dass eine ordentliche Kündbarkeit des befristeten Arbeitsverhältnisses und zudem eine Probezeit von sechs Monaten vereinbart worden ist.
Ausgehend hiervon hat das BAG entschieden, dass die vereinbarte Probezeit gegen § 15 Abs. 3 TzBfG verstieß. Somit konnte die Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht mit der kurzen zweiwöchigen Kündigungsfrist (§ 622 Abs. 3 BGB) beenden, war aber als ordentliche Kündigung zum nächstmöglichen Zeitpunkt mit der Frist des § 622 Abs. 1 BGB (also zum 30.11.2022) auszulegen.
Der Verstoß der vereinbarten Probezeit gegen § 15 Abs. 3 TzBfG folgt laut BAG daraus, dass jedenfalls ohne Hinzutreten von besonderen Umständen die Vereinbarung einer Probezeit unwirksam ist, wenn sie die gesamte Dauer der vereinbarten Befristung umfasst. Eine Probezeit muss kürzer als die Befristungsdauer sein. Dies ergibt die Auslegung der normativen Vorgaben. Insoweit hat das BAG ausdrücklich auch den Ansatz der Vorinstanz verworfen, wonach bei einem ausdrücklich zur Probe befristeten Arbeitsverhältnis, das danach vertraglich als unbefristetes Arbeitsverhältnis fortgeführt werden soll, eine sechsmonatige Probezeit immer angemessen sein soll. Dieser Ansatz steht laut BAG nicht in Einklang mit dem Wortlaut des § 15 Abs. 3 TzBfG, seiner Entstehungsgeschichte sowie seinem Normzweck. Letzteren hat das BAG wie folgt beschrieben: „Beide Vertragsparteien sollen nach einer angemessenen Beschäftigungszeit, in der sie Gelegenheit hatten, die Vereinbarkeit des Arbeitnehmers für die eingenommene Stelle zu erproben, nicht mehr berechtigt sein, das Arbeitsverhältnis mit einer kurzen gesetzlichen oder tarifvertraglichen Kündigungsfrist zu beenden.“
Das BAG hat noch betont, dass es nicht darüber entscheiden musste, was gilt, wenn besondere Umstände hinzutreten, konkret: ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen eine Probezeit der Befristungsdauer (weitgehend) entsprechen darf, weil die Anforderungen des Arbeitsplatzes und/oder die besonderen Verhältnisse des einzustellenden Arbeitnehmers eine zuverlässige Beurteilung seiner Eignung in kürzerer Zeit nicht zulassen.
Das BAG musste auch nicht abschließend entscheiden, nach welchen Grundsätzen sich das Verhältnis zwischen der Dauer eines befristeten Arbeitsverhältnisses und der für dieses vereinbarten Probezeit generell bestimmt. Das BAG hat in seiner Entscheidung aber einen ersten Hinweis gegeben, wohin es tendieren könnte: Es meinte, dass dahinstehen kann, ob die Gerichte für Arbeitssachen angesichts der „bewusst unbestimmt gehaltenen Ausgestaltung von § 15 Abs. 3 TzBfG berechtigt sind, feste Bezugsgrößen für die maßgeblichen Parameter (Probezeit-/Befristungsdauer) zu bestimmen“.
Folgen einer unangemessenen Dauer der Probezeit
Das BAG hat sich in seiner Entscheidung auch dazu geäußert, welche Folgen eine unangemessen lange Probezeit hat.
Die Vereinbarung einer nach § 15 Abs. 3 TzBfG zu langen Dauer der Probezeit lässt die darauf bezogene Probezeitvereinbarung entfallen. Sie ist nicht auf die zulässige Dauer zu verkürzen, wenn es sich um AGB i.S.v. § 305 Abs. 1 BGB oder um sog. Einmalbedingungen i.S.v. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB handelt (Verbot geltungserhaltender Reduktion, § 306 BGB).
Das BAG hat für die Praxis auch die sich dann stellende umstrittene Frage entschieden, ob bei einer nach § 15 Abs. 3 TzBfG zu langen Dauer der Probezeit das Recht zur ordentlichen Kündigung während der Befristung (§ 15 Abs. 4 TzBfG) insgesamt entfällt oder ob es mit den längeren gesetzlichen oder vertraglichen Fristen ausgeübt werden kann. Laut BAG kommt es hier auf die konkrete Ausgestaltung der Vertragsbedingungen an: Ist neben oder in einer Vereinbarung über die Probezeit eine Abrede über die Kündbarkeit getroffen worden (zumindest nach entsprechender Auslegung der Vertragsbedingungen), bleibt deren Wirksamkeit von der Unwirksamkeit einer unverhältnismäßig langen Probezeit unberührt. Dann ist für einen verständigen Arbeitnehmer ausreichend klar, dass während der Dauer des befristeten Arbeitsvertrags die Möglichkeit seiner vorzeitigen Beendigung durch eine ordentliche Kündigung besteht.
Fazit und Einordnung
Das BAG hat in seiner aktuellen Entscheidung zwar nicht entschieden, welche Grundsätze für die Beurteilung der Angemessenheit der Dauer der Probezeit während einer Befristung generell gelten. Es hat nur den besonderen Fall geklärt, dass die Probezeit die Gesamtdauer der Befristung umfasst – und auch hier eine Hintertür bei Hinzutreten besonderer Umstände nicht gänzlich zugeschlagen.
Jedoch hat das BAG zumindest erste Hinweise für die generelle Beurteilung der Angemessenheit der Dauer der Probezeit während einer Befristung gegeben. Diese deuten darauf hin, dass eine Bewertung der in § 15 Abs. 3 TzBfG genannten Kriterien nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls erforderlich sein dürfte. Auch der vom BAG betonte Normzweck, während einer angemessenen Beschäftigungszeit die Gelegenheit zu haben, die Vereinbarkeit des Arbeitnehmers für die eingenommene Stelle zu erproben, deutet auf eine Einzelfallbetrachtung hin. Und je nach Art der Tätigkeit kann die hierfür benötigte Dauer durchaus unterschiedlich sein. Dabei dürfte es erwartungsgemäß nicht auf eine nicht näher nachvollziehbare subjektive Einschätzung, sondern auf eine begründbare objektive Prognose, etwa anhand von repräsentativen Erfahrungswerten in der Vergangenheit, ankommen. Die Frage, die man sich hier in der Praxis natürlich stellen kann, ist, ob und wofür man diesen einen entsprechenden Ermittlungs- bzw. Dokumentationsaufwand tatsächlich betreiben möchte. Der Praxis wären die vom BAG wohl verworfenen festen Bezugsgrößen sicherlich lieber.
Schließlich ist bei der Vertragsgestaltung (wie bisher) darauf zu achten, dass unabhängig von der Probezeitvereinbarung eine ausdrückliche Abrede über die ordentliche Kündbarkeit getroffen wird. Der von der Rechtsprechung in der Vergangenheit einzelnen Arbeitgebern „zugeworfene Rettungsanker“, wonach die Probezeitvereinbarung selbst die ordentliche Kündbarkeit des Arbeitsverhältnisses belegt, auch wenn sich den Vereinbarungen ansonsten keine weiteren Hinweise darauf entnehmen lassen, hilft nicht, wenn die Probezeitvereinbarung wegen unangemessen langer Dauer der Probezeit entfällt.
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner
E-Mail: kuehnel@vahlekuehnelbecker.de
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