Von DR. ARTUR KÜHNEL, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner
In einer aktuellen Entscheidung hat sich der BGH, ohne dass dies für den konkreten Fall entscheidungserheblich war, zu der Frage geäußert, welche Kündigungsfristen für GmbH-Geschäftsführer, die keine Mehrheitsgesellschafter sind, kraft Gesetzes gelten. Der BGH bestätigt seine bisherige Rechtsprechung und widerspricht dem BAG, welches dies vor ein paar Jahren anders beurteilt hat.
Anm.: Dieser Blogbeitrag ist in leicht abgewandelter Form auch als Beitrag im Expertenforum Arbeitsrecht (#EFAR) erschienen: Kündigungsfristen für GmbH-Geschäftsführer: BGH widerspricht BAG

Bisherige Rechtsprechung des BGH
Nach bisheriger Rechtsprechung des BGH sind auf Geschäftsführer einer GmbH, die keine Mehrheitsgesellschafter sind, die zum Nachteil des Geschäftsführers grundsätzlich nicht abdingbaren (§ 622 Abs. 4, 5 BGB) Kündigungsfristen für Arbeitsverhältnisse (§ 622 Abs. 1 und 2 BGB) entsprechend anzuwenden (vgl. insbes. BGH, Urteil vom 29.01.1981 – II ZR 92/80; BGH, Urteil vom 26.03.1984 – II ZR 120/83; zuletzt BGH, Urteil vom 20.08.2019 – II ZR 121/16, Rn. 34). Dies gilt auch dann, wenn der Geschäftsführer einer GmbH, die Komplementärin einer KG ist, den Anstellungsvertrag unmittelbar mit der KG abgeschlossen hat (BGH, Urteil vom 09.03.1987 – II ZR 132/86).
Zur Begründung hat der BGH angeführt, es liege eine planwidrige Regelungslücke vor, nicht an der Gesellschaft beteiligte Fremdgeschäftsführer seien mit Arbeitnehmern vergleichbar und die entsprechende Anwendung des § 622 BGB statt des § 621 BGB liege gleichermaßen im Interesse des Geschäftsführers und der Gesellschaft.
Abweichende Entscheidung des BAG
Das BAG hat in einer vor ein paar Jahren ergangenen Entscheidung (BAG, Urteil vom 11.06.2020 – 2 AZR 374/19) entgegen der bisherigen Rechtsprechung des BGH entschieden, dass sich ein Geschäftsführer, der nicht Mehrheitsgesellschafter der GmbH ist und zu ihr in keinem Arbeitsverhältnis steht, nicht auf die verlängerten Kündigungsfristen des § 622 Abs. 2 BGB berufen kann. In den Rn. 41 seines Urteils begründet das BAG dies wie folgt:
- § 622 BGB sei seinem Wortlaut entsprechend nur auf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses anzuwenden. Wegen der für freie Dienstverhältnisse bestehenden Regelung in § 621 BGB fehle es an einer ausfüllungsbedürftigen planwidrigen Regelungslücke, die eine analoge Anwendung der Norm auf die Kündigung eines Geschäftsführeranstellungsvertrags zuließe. Aus diesem Grund sei es rechtlich ohne Bedeutung, ob das Fristenregime in § 622 BGB gegenwärtig noch als interessengerechter anzusehen sei, als die Kündigungsfristen des § 621 BGB.
- Mit der ab 15.10.1993 geltenden Neufassung des § 622 BGB habe der Gesetzgeber die Anbindung der Kündigungsfristenregelung an Arbeitsverhältnisse betont. Es sei jedenfalls nichts dafür ersichtlich, dass er die Kündigungsfristenregelung für (Fremd-)Geschäftsführer dort verortet sehen habe wollen. Wäre dies sein Wille gewesen, hätte die Neuregelung Anlass gegeben, die bestehende Rechtsprechung des BGH in eine gesetzliche Regelung zu übernehmen. Dies sei nicht erfolgt. Anhaltspunkte für ein diesbezügliches „Redaktionsversehen“ des Gesetzgebers bestünden nicht.
- Es wäre ferner ein Wertungswiderspruch, mit der Rechtsprechung des 9. Senats des BAG § 622 BGB nicht auf arbeitnehmerähnliche Personen anzuwenden (BAG, Urteil vom 08.05.2007 – 9 AZR 777/06), wohl aber auf einen (Fremd-)Geschäftsführer, dessen geleistete Dienste nach ihrer sozialen Typik noch weniger mit denen eines Arbeitnehmers vergleichbar seien.
BGH widerspricht BAG
In einer aktuellen Entscheidung führt der BGH jedoch aus, dass er entgegen der Ansicht des BAG an seiner Rechtsprechung festhält (BGH, Urteil vom 05.11.2024 – II ZR 35/23). Der BGH begründet dies in Rn. 46 seines Urteils wie folgt:
Der Gesetzgeber habe anlässlich der Reform des Kündigungsfristengesetzes (KündFG) im Jahr 1993 (RegE, BT-Drs. 12/4902) in offenbarer Kenntnis der Rechtsprechung des BGH die Frage der Kündigungsfristen für Organmitglieder weder ausdrücklich angesprochen noch korrigiert. Damit habe er diese Rechtsprechung offensichtlich gebilligt. Das Kündigungsfristengesetz sei in Vollziehung eines Gesetzgebungsauftrags des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 30.05.1990 – 1 BvL 2/83) erfolgt und ausschließlich darauf abgezielt, die Fristen bei der ordentlichen Kündigung für Arbeiter und Angestellte sowie die Rechtslage in den alten und den neuen Bundesländern zu vereinheitlichen. Deshalb sei eine bewusste Wertentscheidung des Gesetzgebers, den persönlichen Anwendungsbereich des § 622 BGB ausschließlich auf Arbeitsverhältnisse zu beschränken, von der das BAG ausgehe, nicht erkennbar.
Fazit und Einordnung
Bereits nach der Entscheidung des BAG ist die Frage aufgeworfen worden, ob die Zivilgerichte dem BAG folgen werden. Die Frage dürfte mit der aktuellen Entscheidung des BGH klar mit „Nein“ beantwortet sein, auch wenn es sich nur um einen nicht entscheidungserheblichen Hinweis des BGH handelt (sog. obiter dictum).
Und da für Rechtsstreitigkeiten zwischen einem Geschäftsführer und der Gesellschaft im Regelfall die Zivilgerichte und nicht die Gerichte für Arbeitssachen zuständig sind, ist zu erwarten, dass auch die zivilgerichtliche Rechtsprechung der Linie des BGH (wie bisher) überwiegend folgt.
Die Frage, welche gesetzlichen Kündigungsfristen für den Geschäftsführer gelten, spielt dann eine Rolle, wenn der Geschäftsführeranstellungsvertrag keine eigene vertragliche Regelung der Kündigungsfristen enthält bzw. schlicht auf die gesetzlichen Kündigungsfristen verweist, ohne zu benennen, welche dies denn sind. Wenn hingegen – wie wohl in vielen Fällen – gegenüber den gesetzlichen Kündigungsfristen längere vertragliche Kündigungsfristen wirksam vereinbart sind, ist die Frage nach der zutreffenden gesetzlichen Kündigungsfrist in der Regel nicht entscheidend. Bei vertraglichen Kündigungsfristen, die – und sei es nur in gewissen Konstellationen – die bei langjähriger Betriebszugehörigkeit verlängerten Kündigungsfristen (vgl. z.B. § 622 Abs. 2 Nr. 6 und Nr. 7 BGB) unterschreiten, setzt sich im Zweifel die – auch laut BGH zu Lasten des Geschäftsführers nicht abdingbare – Regelung in § 622 BGB gegen die vertragliche Kündigungsfrist durch (so jdf. BAG, Urteil vom 29.01.2015– 2 AZR 280/14: Eine vertragliche Frist von sechs Monaten zum Quartalsende kann bei über 20-jähriger Betriebszugehörigkeit in gewissen Fällen nur sechs Monate betragen und damit kürzer als die Kündigungsfrist von sieben Monaten zum Monatsende gemäß § 622 Abs. 2 Nr. 7 BGB sein).
Gesellschaft und/oder Geschäftsführer können trotz der aktuellen Entscheidung des BGH überprüfen, ob in ihrem Fall bisher eine nicht optimale bzw. nicht hinreichend klare Vertragsgestaltung vorliegt, und die Klausel zu den Kündigungsfristen ggf. anpassen.
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner
E-Mail: kuehnel@vahlekuehnelbecker.de
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