Körperreinigungszeiten als vergütungspflichtige Arbeitszeit?

Von DR. ARTUR KÜHNEL, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner

Das BAG hatte jüngst Gelegenheit, sich erneut zur Frage der Vergütungspflicht von Zeiten zu äußern, die nicht die unmittelbare Erbringung der Arbeitsleistung betreffen, sondern diese vorbereiten oder ihr nachfolgen. Das BAG bestätigt seine bisherige Rechtsprechung zu Umkleidezeiten und innerbetrieblichen Wegezeiten und stellt hinsichtlich der Körperreinigungszeiten differenzierende Grundsätze auf. 

 

Anm.: Dieser Blogbeitrag ist auch als Beitrag im Expertenforum Arbeitsrecht (#EFAR) erschienen: Wann Duschen & Co. vergütungspflichtige Arbeitszeit sind 


Das Thema

In der Praxis wird häufig gefragt, welche Zeiten, die nicht unmittelbar zur Erbringung der Arbeitsleistung aufgewendet werden, als Arbeitszeit einzuordnen sind. Es geht um Zeiten, die die Erbringung der eigentlichen Arbeitsleistung vorbereiten oder ihr nachfolgen, z.B. Umkleidezeiten. Sind entsprechende Zeiten bei der höchstzulässigen täglichen Arbeitszeit (§ 3 ArbZG) zu berücksichtigen? Sind die Zeiten zu vergüten?

 

Dabei ist in einem ersten Schritt zunächst stets danach zu unterscheiden, worüber genau diskutiert wird: Denn die Qualifikation einer bestimmten Zeitspanne als Arbeitszeit i.S.d. ArbZG führt nicht zwingend zu ihrer Vergütungspflicht, wie auch umgekehrt die Herausnahme bestimmter Zeiten aus der Arbeitszeit i.S.d. ArbZG nicht deren Vergütungspflicht ausschließen muss (so etwa BAG, Urt. v. 17.10.2018 – 5 AZR 553/17).

 

Der vorliegende Beitrag behandelt die Vergütungspflicht für Umkleidezeiten, innerbetriebliche Wegezeiten und vor allem Körperreinigungszeiten. Anlass hierfür ist ein aktuelles Urteil des BAG (Urt. v. 23.04.2024 – 5 AZR 212/23).

 

Der Fall

Der als Containermechaniker arbeitende Arbeitnehmer macht Vergütung für die genannten Umkleide-, Körperreinigungs- und Wegezeiten geltend.

 

Sein Arbeitstag gestaltet sich wie folgt: Nach Betreten des Betriebsgeländes begibt er sich zum Gebäude, in dem sich der Umkleideraum mit den Duschen, das Zeiterfassungsterminal und sein Arbeitsplatz befinden. Im ersten Stock zieht er die von der Arbeitgeberin gestellte Arbeitskleidung an und verstaut seine private Kleidung im Spind. Danach geht er die Treppe ins Erdgeschoss hinunter, wo sich wenige Meter entfernt das Zeiterfassungsterminal befindet. Dort loggt er sich ein und gibt weisungsgemäß die von der Arbeitgeberin bestimmte Uhrzeit des Schichtbeginns ein. Danach begibt er sich an seinen 30-40 Meter entfernten Arbeitsplatz und nimmt seine eigentliche Tätigkeit auf. Bei gewissen Arbeiten kann er von der Arbeitgeberin gestellte Handschuhe, Schutzbrille und Atemmaske tragen. Nach der Arbeit begibt er sich zurück zum Umkleideraum und wäscht oder duscht sich. Die verunreinigte Arbeitskleidung lässt er auf Anweisung der Arbeitgeberin im Betrieb zur Reinigung. Danach begibt er sich zum Zeiterfassungsterminal und gibt weisungsgemäß die von der Arbeitgeberin bestimmte Uhrzeit des Endes der Schicht ein. Dann verlässt er den Betrieb.

 

BAG: Vergütungspflicht kann bestehen

Das BAG stellt zunächst fest, dass eine Vergütung für Umkleide-, Körperreinigungs- und Wegezeiten gemäß § 611a Abs. 2 BGB dem Grunde nach in Betracht kommt.

 

Zu der im Dienste eines anderen erbrachten Arbeitsleistung i.S.v. § 611a Abs. 1 BGB zählt laut BAG nicht nur die eigentliche Tätigkeit, sondern jede vom Arbeitgeber im Synallagma (Gegenseitigkeitsverhältnis) verlangte sonstige Tätigkeit oder Maßnahme, die mit der eigentlichen Tätigkeit oder der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängt. Der Arbeitgeber verspricht die Vergütung aller Dienste, die er dem Arbeitnehmer aufgrund seines arbeitsvertraglich vermittelten Weisungsrechts abverlangt. „Arbeit“ im Sinne dieser Bestimmungen ist jede Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient.

 

Nichts Neues zu bei Umkleidezeiten und innerbetrieblichen Wegezeiten

Sodann gibt das BAG die von ihm aufgestellten Grundsätze zur Vergütungspflicht von innerbetrieblichen Umkleidezeiten und den Wegezeiten vom Umkleideraum zum Arbeitsplatz und zurück wieder (vgl. BAG, Urt. v. 13.10.2021 – 5 AZR 270/20; BAG, Urt. v. 15.07.2021 – 6 AZR 207/20). Hierzu gibt es im Ergebnis nichts Neues.

 

Um vergütungspflichtige Arbeitszeit handelt es sich regelmäßig beim An- und Ablegen einer vom Arbeitgeber vorgeschriebenen und nur im Betrieb zu tragenden Dienstkleidung. Das An- und Ablegen der Dienstkleidung im Betrieb und der damit verbundene Zeitaufwand des Arbeitnehmers beruhen auf der entsprechenden Anweisung des Arbeitgebers zum Tragen der Dienstkleidung. Das Umkleiden ist in diesem Fall ausschließlich fremdnützig. Daher schuldet der Arbeitgeber Vergütung für die durch den Arbeitnehmer hierfür im Betrieb aufgewendete Zeit.

 

Vergütungspflicht von Körperreinigungszeiten?

Zu den höchstrichterlich bisher noch nicht entschiedenen Körperreinigungszeiten stellt das BAG nunmehr differenzierende Grundsätze auf:

 

Auszugehen ist dabei von den von der Rechtsprechung zu Umkleidezeiten entwickelten allgemeinen Kriterien. Körperreinigungszeiten sind danach als Arbeitszeit anzusehen, wenn sie mit der eigentlichen Tätigkeit oder der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängen und deshalb ausschließlich der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dienen. Dies nimmt das BAG an,

  • wenn die Körperreinigung durch den Arbeitgeber ausdrücklich angeordnet wird oder
  • wenn zwingende arbeitsschutzrechtliche Hygienevorschriften eine Körperreinigung verlangen (z.B. weil der Arbeitnehmer bei der Arbeit mit gesundheitsgefährdenden Stoffen oder verunreinigten Gegenständen in Berührung kommt) oder
  • wenn sich der Arbeitnehmer bei der geschuldeten Arbeitsleistung so sehr verschmutzt, dass ihm ein Anlegen der Privatkleidung, das Verlassen des Betriebs und der Weg nach Hause (egal ob mit Öffentlichen Personennahverkehr oder mit eigenem Fahrzeug) ohne eine vorherige Körperreinigung im Betrieb nicht zumutbar ist. Dabei ist regelmäßig nach folgenden Umständen zu differenzieren: Art und Umfang der ausgeübten Tätigkeit sowie der getragenen Arbeitskleidung, Ausmaß der mit der Arbeitsleistung verbundenen Verschmutzung, die sich daraus ergebende erforderliche Art und Dauer der Körperreinigung.

Zur Anwendung der zuletzt genannten 3. Fallgruppe stellt das BAG folgende Grundsätze auf:

  • Die Ganzkörperreinigung (Duschen) gehört nur dann zur vergütungspflichtigen Arbeitszeit, wenn die Erbringung der Arbeitsleistung ohne anschließendes Duschen bei wertender Betrachtung nicht möglich erscheint und der gesamte Vorgang – arbeiten und duschen – deshalb fremdnützig ist.
  • Nicht jede im Verlauf eines Arbeitstags auftretende Verschmutzung oder Verunreinigung „erfordert“ damit ein Duschen. Das Waschen, das erforderlich ist, um die übliche Verunreinigung, Schweiß- und Körpergeruchsbildung des Tages zu beseitigen, dient der Befriedigung privater Bedürfnisse; es ist nicht ausschließlich fremdnützig und damit nicht vergütungspflichtig.
  • Für die Abgrenzung und Beurteilung des jeweiligen Einzelfalls können öffentlich-rechtliche und arbeitsschutzrechtliche Vorschriften, wie z.B. der Anhang der Arbeitsstättenverordnung (Anforderungen und Maßnahmen für Arbeitsstätten nach § 3 Abs. 1 ArbStättV) und die den Anhang konkretisierenden Technischen Regeln für Arbeitsstätten Orientierungshilfen bieten.
  • Wenn der Arbeitnehmer sehr stark schmutzende Tätigkeiten oder Arbeiten mit stark geruchsbelästigenden Stoffen ausübt, er bei seiner Tätigkeit eine körpergroßflächige persönliche Schutzausrüstung trägt oder er Tätigkeiten unter besonderen klimatischen Bedingungen oder bei Nässe verrichtet (vgl. Abschnitt 6 – Waschräume Nr. 6.1 Abs. 1 Kategorie C der Technischen Regeln für Arbeitsstätten Sanitärräume ASR A4.1), dürften Duschzeiten vergütungspflichtig sein. Dies können ausweislich der Beispielsammlung “Wann sind Waschräume in Betrieben erforderlich?” der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) etwa Abbruch- und Entkernungsarbeiten sein.
  • Bei nur stark (also nicht „sehr stark“) schmutzenden und bei nur mäßig schmutzenden Tätigkeiten (vgl. Abschnitt 6 – Waschräume Nr. 6.1 Abs. 1 Kategorie B und A der Technischen Regeln für Arbeitsstätten Sanitärräume ASR A4.1), dürfte regelmäßig das Waschen der verschmutzten Körperteile ausreichen. Ein Duschen wird in der Regel nicht notwendig sein. Die für das Waschen erforderliche Zeit ist aber unter denselben Voraussetzungen vergütungspflichtig wie die Duschzeit.
  • Aufgrund der Vielzahl der Tätigkeiten und Arbeitsbedingungen ist – soweit eine generelle, z.B. tarifvertragliche Regelung nicht existiert – jeweils im konkreten Einzelfall zu prüfen, welche Art der Körperreinigung erforderlich ist und mit der eigentlichen Tätigkeit und der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängt. Maßstab ist dafür nicht das subjektive Empfinden des einzelnen Arbeitnehmers, sondern die objektivierte Sicht eines verständigen Arbeitnehmers.

Fazit und Einordnung

Das BAG hat der Rechtsprechung zur Vergütungspflicht von Umkleidezeiten usw. als weitere Fallgruppe die Vergütungspflicht von Körperreinigungszeiten hinzugefügt und hierfür Leitlinien für die Praxis aufgestellt.

 

Auch wenn Körperreinigungszeiten als Teil der im Dienste eines anderen erbrachten Arbeitsleistung i.S.v. § 611a Abs. 2 BGB und damit als im Grundsatz als vergütungspflichtig eingeordnet werden, kann aber individual- oder kollektivrechtlich geregelt werden, dass die dafür vom Arbeitnehmer aufgewendete Zeit anders zu vergüten ist als die „eigentliche“ Tätigkeit. Eine Vergütung hierfür kann sogar ganz ausgeschlossen werden, sofern mit der getroffenen Vereinbarung nicht der jedem Arbeitnehmer für tatsächlich geleistete vergütungspflichtige Arbeit nach § 1 Abs. 1 MiLoG zustehende Anspruch auf den Mindestlohn unterschritten wird (vgl. auch BAG, Urt. v. 21.07.2021 – 5 AZR 572/20; BAG, Urt. v. 18.03.2020 – 5 AZR 36/19).

 

DR. ARTUR KÜHNEL
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner
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