Von DR. ARTUR KÜHNEL, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner
Bei einer sog. Verdachtskündigung ist Kündigungsgrund nicht die erwiesene Pflichtverletzung, sondern "nur" der dringende Verdacht. Deswegen stellt die Rechtsprechung besondere Voraussetzungen für die Verdachtskündigung auf. U.a. ist zwingend eine vorherige Anhörung des Arbeitnehmers durchzuführen. Der Beitrag geht der Frage nach, wie Arbeitgeber auf ein im Rahmen der Verdachtsanhörung gestelltes Fristverlängerungsersuchen des Arbeitnehmers reagieren können/sollten, das nur mit der behaupteten Arbeitsüberlastung seines Rechtsanwalts begründet wird.
Typischer Fall
Auf Arbeitgeberseite entsteht der Verdacht, dass ein Arbeitnehmer in den Vorwochen seine Arbeitszeit diverse Male falsch aufgezeichnet hat. Es wird umgehend begonnen, den Sachverhalt aufzuklären und eine etwaige (außerordentliche) Verdachtskündigung vorzubereiten. Hierzu wird bereits nach drei Tagen dem Arbeitnehmer eine schriftliche Verdachtsanhörung übermittelt.
Eile ist geboten, da eine außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen ab hinreichender Kenntnis von den Kündigungsgründen erklärt werden kann (§ 626 Abs. 2 S. 1, 2 BGB), andernfalls ist sie unwirksam. Der Lauf der Frist wird nur durch in gebotener Eile durchgeführte Aufklärung gehemmt.
„Ungewöhnliche“ Reaktion
Am Tag nach der Übermittlung der Verdachtsanhörung zeigt ein Rechtsanwalt die Vertretung des Arbeitnehmers an und teilt mit: „Die in Ihrem Schreiben erhobenen Vorwürfe müssen geprüft werden. Hierzu ist ein weiteres Gespräch mit meinem Mandanten erforderlich. Dieses kann aufgrund meiner derzeitigen erheblichen Arbeitsbelastung erst in der XX. KW erfolgen. Ich bitte daher um Verlängerung der mit Ihrem Schreiben gesetzten Frist um drei Wochen.“
Ist das dem Arbeitnehmer gefahrlos möglich? Wie kann/soll der Arbeitgeber damit umgehen?
Möglichkeit 1
Zunächst kann der Arbeitgeber Fristverlängerung gewähren und abwarten. Dasselbe gilt auch bei einer oder gar mehreren erneuten Fristverlängerung/en.
Dabei muss der Arbeitgeber nicht befürchten, dass ihm später vorgeworfen wird, er hätte nicht zuwarten dürfen, sondern kündigen müssen, so dass die Erklärungsfrist für die außerordentliche Kündigung (§ 626 Abs. 2 S. 1, 2 BGB) nunmehr versäumt und die Kündigung deswegen unwirksam wäre. Denn nach der Rechtsprechung (etwa BAG, Urt. v. 20.3.2014 – 2 AZR 1037/12) kann dem Arbeitgeber, der die Möglichkeit einer weiteren Aufklärung durch den Arbeitnehmer trotz der Zeitverzögerung nicht ungenutzt lassen möchte, regelmäßig nicht der Vorwurf gemacht werden, er betreibe keine hinreichend eilige Aufklärung, insbesondere dann nicht, wenn der Arbeitnehmer selbst um eine Fristverlängerung gebeten hat. Dies dient nicht zuletzt dem Interesse des Arbeitnehmers an der Vermeidung einer vorschnell, ohne Rücksicht auf mögliche Entlastungen erklärten Kündigung.
Dieses Vorgehen hat jedoch einen Nachteil: Der Arbeitgeber kann die Kündigung erst mit Zeitverzögerung erklären und muss für eine ggf. noch erhebliche Zeit Entgelt(fort)zahlung leisten, was er bei zeitnah erklärter (wirksamer) Kündigung nicht müsste.
Möglichkeit 2
Deswegen ist es seitens des Arbeitgebers vorzugswürdig, die Fristverlängerung abzulehnen und zu kündigen, wenn innerhalb der ursprünglichen Frist keine Stellungnahme eingeht. Vorab: Wichtig ist, dass bereits die erste, dem Arbeitnehmer für die Stellungnahme gesetzte Frist angemessen war!
Die entscheidende Frage ist, ob die Ablehnung der Fristverlängerung gefahrlos möglich ist oder ob der Arbeitnehmer später vor Gericht zu Recht die Ordnungsgemäßheit der Verdachtsanhörung bemängeln kann, was (wenn es auf die Verdachtsanhörung auch wirklich ankommt) zur Folge hätte, dass die Verdachtskündigung unwirksam wäre.
Nach der Rechtsprechung (vgl. BAG, Urt. v. 20.3.2014 – 2 AZR 1037/12; BAG, Urt. v. 11.6.2020 – 2 AZR 442/19) verletzt der Arbeitgeber bei einem Fristverlängerungsersuchen nicht notwendig seine Aufklärungspflicht, wenn er von einem (weiteren) Zuwarten absieht. Ihm kann – abhängig von den Umständen des Einzelfalls – eine weitere Verzögerung nämlich unzumutbar sein. Hierzu hat die Rechtsprechung folgende Grundsätze abgestellt:
- Eine Unzumutbarkeit des Abwartens ist anzunehmen, wenn der Arbeitgeber davon ausgehen darf, der Arbeitnehmer werde sich in absehbarer Zeit nicht äußern (können).
- Hat etwa der Arbeitnehmer mehrmals um eine Verlängerung der gesetzten Frist zur Stellungnahme gebeten und hat sich seine Prognose, wann er sich werde äußern können, wiederholt als unzutreffend erwiesen, wird dem Arbeitgeber ein weiteres Zuwarten nicht zuzumuten sein.
- Mehrfache ergebnislose Fristverlängerungen können überdies die Annahme rechtfertigen, der Arbeitnehmer wolle sich in Wirklichkeit ohnehin nicht äußern.
- Einige weitere Tage warten zu müssen, wird der Arbeitgeber dabei in der Regel eher hinzunehmen haben als eine Wartezeit von mehreren Wochen.
- Es kann wiederum auch das Ende eines längeren Zeitraums abzuwarten sein, wenn schon die bisherigen Aufklärungsmaßnahmen längere Zeit in Anspruch genommen haben und keine Ansprüche des Arbeitnehmers aus Annahmeverzug drohen.
Unter Zugrundelegung der vorgenannten Grundsätze dürfte es im vorliegenden Fall aus den folgenden Gründen aber zulässig sein, dass der Arbeitgeber dem Fristverlängerungsersuchen des Arbeitnehmers nicht nachkommt:
- Der Wunsch, einer Verzögerung durch eine lange verschleppte Stellungnahme vorzubeugen, ist ein anerkanntes Arbeitgeberinteresse: Die Verdachtsanhörung dient allein der Aufklärung und ist nicht etwa dazu bestimmt, als verfahrensrechtliche Erschwernis die Aufklärung zu verzögern und die Wahrheit zu verdunkeln (so BAG, Urt. v. 13.3.2008 - 2 AZR 961/06; BAG, Urt. v. 24. 5. 2012 – 2 AZR 206/11).
- Zwar hat die Rechtsprechung – im Rahmen einer gewährten Fristverlängerung – das Interesse des Arbeitnehmers an der Vermeidung einer vorschnell, ohne Rücksicht auf mögliche Entlastungen erklärten Kündigung genannt. Jedoch hat es daran eben nicht die Verpflichtung des Arbeitgebers geknüpft, Fristverlängerungen stets abwarten zu müssen.
- Vorliegend ist die Verzögerung nicht in der Person des Arbeitnehmers selbst begründet, sondern liegt allein in seinem Rechtsanwalt. Denn das Fristverlängerungsersuchen wird ausschließlich mit der behaupteten Arbeitsüberlastung des Rechtsanwalts begründet. Dem Arbeitnehmer selbst wäre es hingegen möglich, auch vorher Stellung zu nehmen.
- Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts durch den Arbeitnehmer ist aber zulässig. Bittet der Arbeitnehmer im Rahmen einer Verdachtsanhörung um Hinzuziehung eines Rechtsanwalts, so hat der Arbeitgeber dem nachzukommen (BAG Urt. v. 24.2.2022 – 6 AZR 333/21; BAG, Urt. v. 12.2.2015 – 6 AZR 845/13; BAG, Urt. v. 24.5.2012 – 2 AZR 206/11; BAG, Urt. v. 13.3.2008 – 2 AZR 961/06).
- Dem Arbeitnehmer selbst wäre es aber auch möglich, vorher Stellung zu nehmen. Er wäre auch nicht gezwungen, dies ohne Hinzuziehung eines Rechtsanwalts zu tun. Er könnte auch einen anderen Rechtsanwalt hinzuziehen.
- Allerdings gewährleistet § 3 Abs. 3 BRAO die freie Anwaltswahl. Dies dürfte der Ablehnung der Fristverlängerung im vorliegenden Fall aber nicht entgegenstehen. Zunächst ist eine anwaltliche Hinzuziehung nicht zwingend. Angehört wird der Arbeitnehmer selbst und nicht sein Rechtsanwalt. Letzterer soll den Arbeitnehmer „nur“ unterstützen. Zudem ist die freie Anwaltswahl nur im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften (bzw. dem diese ausfüllenden Richterrechts) gewährleistet. So muss der Arbeitnehmer bei seiner Anwaltswahl darauf achten, ob dieser überhaupt in der Lage bzw. willens ist, die nach dem Gesetz nötigen Maßnahmen innerhalb der gebotenen Zeit vorzunehmen. Beispielsweise muss ein Mandant gemeinsam mit dem von ihm gewählten Rechtsanwalt darauf achten, ob eine ablaufende zwingende Frist eingehalten werden kann oder ob der von ihm gewählte Rechtsanwalt dies zeitlich gar nicht schaffen wird. Selbstverständlich kann eine gar nicht verlängerbare Frist (wie z.B. Berufungseinlegung) auch unter Hinweis auf die freie Anwaltswahl nicht verlängert werden. Auch im vorliegenden Fall muss der Arbeitnehmer gemeinsam mit seinem Rechtsanwalt prüfen, ob im Rahmen der Vorgaben der Rechtsprechung Stellung genommen werden kann. Er kann auch um Fristverlängerung bitten. Kann der Rechtsanwalt seine anwaltliche Unterstützung im Rahmen einer fristgemäßen Stellungnahme zeitlich aber nicht bewerkstelligen, so muss sich der Arbeitnehmer also anderweitig vertreten lassen (oder eben ohne Rechtsanwalt Stellung nehmen).
- Entscheidend dürfte also sein, in welcher angemessenen Frist der Arbeitnehmer selbst – mit oder ohne Rechtsanwalt – Stellung nahmen kann. Nicht entscheidend ist, wann der Rechtsanwalt Zeit für den Arbeitnehmer hat. Dies gilt jedenfalls bei einer Frist, die das Recht auf die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts nicht von vornherein unrealistisch macht.
- Entscheidend ist vorliegend auch, dass die verlangte Fristverlängerung um drei Wochen sehr lang ist. Dies gilt insbesondere angesichts der Überschaubarkeit des Sachverhalts, die sich aus den sehr schnellen Ermittlungen und der Übermittlung der Verdachtsanhörung bereits nach drei Tagen ergibt.
Es verbleibt aber auf Arbeitgeberseite ein Risko, da es hierzu (soweit ersichtlich) keine Rechtsprechung gibt und vor allem weil stets die Umstände des Einzelfalls maßgeblich sind. Das Risiko kann etwa dadurch gemindert werden, indem zwar nicht die gewünschte Fristverlängerung, jedoch eine Fristverlängerung nur um weitere wenige Tage eingeräumt wird (insbesondere nach erstmaliger Kenntnis von der gewünschten Hinzuziehung eines Rechtsanwalts). Zugleich kann der Arbeitgeber als weiteren Versuch der Risikominimierung den Arbeitnehmer vorsorglich ausdrücklich auffordern, seine Stellungnahme zu den Vorwürfen auch nach Ablauf der ihm gesetzten Frist und innerhalb der vom Arbeitnehmer gewünschten, verlängerten Frist nachzureichen. Hiermit verbunden wird dann die Ankündigung, dass der Arbeitgeber die Stellungnahme dann prüfen und die ggf. vorbereitete bzw. schon erklärte Kündigung – natürlich nur bei nachvollziehbarer Entkräftung der Vorwürfe – stoppen oder "zurücknehmen" wird. Geht dann bis zum Ablauf der ursprünglich vom Arbeitnehmer gewünschten, verlängerten Frist keine Stellungnahme ein, wäre es aber ratsam, eine vorsorgliche erneute Kündigung zu erklären.
Aber auch auf Arbeitnehmerseite muss man sich der Risiken bewusst sein, die derartige Fristverlängerungen mit sich bringen können. Insbesondere wenn ein Arbeitnehmer meint, entlastende Umstände vorbringen zu können, erscheint es geboten, Fristverlängerungen möglichst zu vermeiden, sondern zügig Stellung zu nehmen.
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner
E-Mail: kuehnel@vahlekuehnelbecker.de
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