Von DR. ARTUR KÜHNEL, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner
Wann ist eine fristlose Kündigung arbeitgeberseitig rechtzeitig erklärt? Wer wusste wann wovon und warum? Wann ist das arbeitgeberseitige Berufen auf einen späteren Zeitpunkt der Kenntnis eines Kündigungsberechtigten missbräuchlich?
In einer aktuellen Entscheidung gibt das BAG ausführlich die insoweit geltenden Grundsätze wieder. Zudem nuanciert sowie präzisiert das BAG seine bisherige Rechtsprechung dazu.
Für alle Personen auf Arbeitgeberseite, die mit der Vorbereitung und Umsetzung von außerordentlichen Kündigungen befasst sind, stellt sich immer wieder dasselbe Problem: Wann beginnt die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 S. 1 BGB zu laufen? Danach kann die Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen, andernfalls ist sie unwirksam.
Nach § 626 Abs. 2 S. 2 BGB beginnt die Frist mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Aus Arbeitnehmersicht ist dies auch von Interesse, da so ggf. eingeschätzt werden kann, ob die außerordentliche Kündigung bereits aus Fristgründen unwirksam sein kann.
Dies wirft neben der zentralen Frage, wann eine solche hinreichende Kenntnis vorliegt, insbesondere auch die Frage auf, wer kündigungsberechtigt ist und vor allem, ob und wann eine erst späte Kenntnis des Kündigungsberechtigten aufgrund der Kenntnis anderer Personen und einer unsachgemäßen/verschleppten Aufklärung sich nachteilig für die Arbeitgeberseite auswirkt. In der Praxis bereitet einem dies als HR Business Partner, Inhouse-Lawyer bzw. externer Berater durchaus schon einmal Kopfzerbrechen, gerade wenn man erst ab einem gewissen, ggf. recht späten Zeitpunkt eingebunden wird oder der nötige Informationsfluss sehr zäh erfolgt. Auch bei komplizierten Sachverhalten und Compliance-Untersuchungen stellt sich diese Frage.
Vor diesem Hintergrund ist allen „Betroffenen“ die gründliche Lektüre einer aktuellen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil vom 5.5.2022, 2 AZR 483/21) sehr zu empfehlen. Darin gibt das BAG ausführlich die insoweit geltenden Grundsätze wieder. Zudem nuanciert sowie präzisiert das BAG seine bisherige Rechtsprechung dazu. Aus Arbeitgebersicht sind der Entscheidung deswegen einige erfreuliche Aussagen und Klarstellungen (auch im Kontext von Compliance-Untersuchungen), aber eben auch Grenzen für die Fristhemmung während der Aufklärungsarbeit zu entnehmen. Nachfolgend werden die Kernaussagen des BAG wiedergegeben:
Wann ist von hinreichender Kenntnis der maßgebenden Tatsachen auszugehen?
Maßgeblich für einen Beginn der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB ist aber erst die Kenntnis von sämtlichen Tatsachen, die eine Entscheidung dahin erlauben, ob dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zugemutet werden kann oder nicht.
Hierzu gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände. Es muss alles in Erfahrung gebracht sein, was als notwendige Grundlage für die Entscheidung über den Fortbestand oder die Auflösung des Arbeitsverhältnisses anzusehen ist.
Dazu zählen insbesondere auch diejenigen Umstände, die das Gewicht einer Pflichtverletzung im Geflecht von weiteren an einem Fehlverhalten beteiligten Arbeitnehmern betreffen. Ein Fehlverhalten wiegt etwa, wenn sich ein Arbeitnehmer aufgrund der Einflussnahme von Vorgesetzten genötigt sah, an Pflichtverletzungen mitzuwirken, weniger schwer als wenn er selbst Initiator des Geschehens oder dessen aktiv fördernder Part war. Hat ein Arbeitnehmer im Zusammenhang mit in dieselben oder vergleichbare Pflichtverletzungen involvierten Mitarbeitern gehandelt, gehört es deshalb regelmäßig zur notwendigen Grundlage für eine Entscheidung des Arbeitgebers über den Fortbestand oder die Auflösung des Arbeitsverhältnisses, die Mitwirkungsanteile der betroffenen Mitarbeiter und ihre Rolle im Verhältnis zueinander zu kennen.
Das bedeutet allerdings nicht, dass der Arbeitgeber eine Compliance-Untersuchung stets erst entsprechend einem von ihm selbst vorgegebenen Erkenntnisinteresse zu Ende führen könnte, bevor die Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB zu laufen begönne. So dienen etwa Ermittlungen, mit denen jenseits der Identifikation und Gewichtung bereits begangener Pflichtverstöße unternehmensbezogene (Präventions-)Ziele verfolgt werden, grundsätzlich nicht mehr der Aufklärung der für die Entscheidung über den Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses relevanten Tatsachen
Wer ist auf Arbeitgeberseite kündigungsberechtigt?
Handelt es sich bei dem Arbeitgeber um eine juristische Person, ist grundsätzlich die Kenntnis des gesetzlich oder satzungsgemäß für die Kündigung zuständigen Organs maßgeblich. Sind für den Arbeitgeber mehrere Personen gemeinsam vertretungsberechtigt, genügt grundsätzlich die Kenntnis schon eines der Gesamtvertreter.
Neben den Mitgliedern der Organe von juristischen Personen und Körperschaften gehören zu den Kündigungsberechtigten auch die Mitarbeiter, denen der Arbeitgeber das Recht zur außerordentlichen Kündigung übertragen hat.
Die Kenntnis anderer Personen ist grundsätzlich unbeachtlich. Dies gilt selbst dann, wenn ihnen Vorgesetzten- oder Aufsichtsfunktionen übertragen worden sind. § 166 BGB (Wissenszurechnung) findet weder direkte noch analoge Anwendung.
Wann ist das arbeitgeberseitige Berufen auf einen späteren Zeitpunkt der Kenntnis eines Kündigungsberechtigten missbräuchlich?
Laut BAG kann ein Arbeitgeber sich nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) unter Umständen aber nicht darauf berufen, die Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB gewahrt zu haben. Dies ist der Fall, wenn der Arbeitgeber es selbst es zielgerichtet verhindert hat, dass eine für ihn kündigungsberechtigte Person bereits zu einem früheren Zeitpunkt Kenntnis von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen erlangte, oder sonst eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalls ergibt, dass sich die spätere Kenntniserlangung einer kündigungsberechtigten Person als unredlich darstellt.
Dies setzt zumindest voraus, dass die Verspätung, mit der ein für den Arbeitgeber Kündigungsberechtigter Kenntnis erlangt, auf einer unsachgemäßen Organisation beruht. Da selbst grob fahrlässige Unkenntnis die Frist nicht in Gang setzt, begründet nicht schon jede Unkenntnis aufgrund eines Organisationsverschuldens schädlich. Der Kündigungsberechtigte muss vielmehr den Informationsfluss zielgerichtet verhindert oder zumindest in einer mit Treu und Glauben nicht zu vereinbarenden Weise ein den Informationsfluss behinderndes sachwidriges und überflüssiges Organisationsrisiko geschaffen haben. Es müssen den Informationsfluss zwischen dem Dritten und dem Kündigungsberechtigten behindernde Organisationsmaßnahmen getroffen worden sein.
Zudem kommt ein Rechtsmissbrauch nur in Betracht, wenn die nicht kündigungsberechtigte Person, die bereits früher Kenntnis erlangt hat, eine so herausgehobene Position und Funktion im Betrieb oder in der Verwaltung innehat, dass sie tatsächlich und rechtlich in der Lage ist, den Sachverhalt so umfassend zu klären, dass der Kündigungsberechtigte allein aufgrund dieses Kenntnisstands und ohne weitere Nachforschungen seine (Kündigungs-)Entscheidung abschließend treffen kann.
Beide Voraussetzungen (ähnlich selbständige Stellung und treuwidriger Organisationsmangel in Bezug auf die Kenntniserlangung) müssen kumulativ vorliegen und positiv festgestellt werden.
Darlegungs- und Beweislast?
Prozessual ist hervorzuheben, dass das BAG die Beweislast der Arbeitgeberseite nur für die die Umstände annimmt, aus denen sich ergibt, wann und wodurch diese von den maßgebenden Tatsachen erfahren hat. Für den arbeitnehmerseitigen Einwand, das arbeitgeberseitige Berufen auf einen späteren Zeitpunkt der Kenntnisnahme eines Kündigungsberechtigten sei missbräuchlich, ist hingegen die Arbeitnehmerseite primär darlegungs- und beweisbelastet, wobei ggf. wegen der größeren arbeitgeberseitigen Sachnähe deren sekundäre Darlegungslast greift.
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner
E-Mail: kuehnel@vahlekuehnelbecker.de
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