Von DR. ARTUR KÜHNEL, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner
Das BAG hat sich jüngst mit der Frage befasst, ob die (grundsätzliche) Ablehnung eines Arbeitgebers (öffentlicher Dienst), externe Bewerber/innen einzustellen, die das gesetzlich festgelegte Alter zum Erreichen der Regelaltersrente bereits vollendet haben, altersdisriminiernd ist (BAG, Urteil vom 31.03.2022, 8 AZR 238/21).
Fall / Unmittelbare Benachteiligung wegen Alters
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG wegen einer Benachteiligung wegen des Alters zu zahlen.
Im Ausgangspunkt stellt das BAG fest, dass der Kläger eine unmittelbare Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 AGG wegen seines Alters erfahren hat, weil seine Bewerbung bei der Arbeitgeberin deshalb keinen Erfolg hatte, weil er als externer Bewerber bereits die sog. Regelaltersgrenze überschritten hatte.
Die konkrete tarifliche Altersgrenzenregelung in § 33 Abs. 1 Buchst. a TVöD lautet:
"Das Arbeitsverhältnis endet, ohne dass es einer Kündigung bedarf, mit Ablauf des Monats, in dem die/der Beschäftigte das gesetzlich festgelegte Alter zum Erreichen der Regelaltersrente vollendet hat, es sei denn, zwischen dem Arbeitgeber und dem/der Beschäftigten ist während des Arbeitsverhältnisses vereinbart worden, den Beendigungszeitpunkt nach § 41 Satz 3 SGB VI hinauszuschieben."
Rechtfertigung?
Das BAG fokussiert sich sodann auf eine mögliche Rechtfertigung dieser Benachteiligung nach § 10 AGG.
Es geht dabei davon aus, dass die konkrete tarifliche Altersgrenzenregelung als solche mit dem Verbot der Altersdiskriminierung in Einklang steht, was für inhaltsgleiche Tarifregelungen bereits entschieden ist und von den Parteien des vorliegenden Rechtsstreits auch nicht in Zweifel gezogen wird. Ferner verweist das BAG darauf, dass ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Hinausschieben der Altersgrenze durch § 41 Satz 3 SGB VI nicht begründet wird und auch aus dem Unionsrecht nicht herzuleiten ist (vgl. EuGH 28.02.2018 – C-46/17 – [John] Rn. 33).
Dennoch äußert das BAG Zweifel daran, ob die grundsätzliche Entscheidung der Arbeitgeberin, keine Arbeitsverhältnisse mit externen Personen zu begründen, die bereits die sog. Regelaltersgrenze erreicht haben, den Vorgaben von § 10 AGG gerecht wird. Allerdings wäre es selbst dann aus Sicht des BAG möglich, dass eine solche Benachteiligung im konkreten Fall nach § 10 AGG ausnahmsweise zulässig ist. Das BAG äußert sich dazu wie folgt:
- Im Schrifttum ist umstritten, ob die Bindung des Arbeitgebers an eine tarifliche Altersgrenze die Zurückweisung der Bewerbung von Personen im Altersruhestand allein wegen der Rentenberechtigung rechtfertigen kann:
-
- Teilweise wird angenommen, die Ablehnung entsprechender Bewerbungen sei aus den gleichen Gründen, aus denen sich die Rechtmäßigkeit einer einschlägigen tariflichen Altersgrenze ergäbe, als zulässige unterschiedliche Behandlung nach § 10 AGG zu werten.
- Nach anderer Auffassung ist eine allein auf das Überschreiten der Regelaltersgrenze gestützte Zurückweisung im Bewerbungsverfahren mit dem Verbot der Altersdiskriminierung nicht in Einklang zu bringen und auch im Anwendungsbereich tariflicher Altersgrenzenregelungen grundsätzlich unzulässig.
- Teilweise wird es zwar als für mit dem Verbot der Altersdiskriminierung vereinbar angesehen, wenn ein Arbeitgeber die Bewerbung einer Person, die vormals bei ihm beschäftigt war und die aufgrund einer zulässigen tariflichen Altersgrenzenregelung aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden ist, wegen des Alters zurückweist. Außerhalb dieses Sachverhalts und außerhalb der Tatbestände iSv. § 10 Satz 3 Nr. 3 AGG sei eine solche Ungleichbehandlung jedoch nicht zu rechtfertigen.
- Das BAG selbst neigt zu der Auffassung, dass bei der Prüfung der Rechtfertigung einer Benachteiligung wegen des Alters nach § 10 Satz 1 und Satz 2 AGG auch in einem Fall wie dem vorliegenden stets zu prüfen ist, ob die Mittel zur Erreichung des (konkreten und legitimen) Ziels angemessen und erforderlich sind (so offenbar auch schon LAG Niedersachsen, Urteil vom 01.08.2018 – 17 Sa 1302/17). Beides ist im Hinblick auf das konkret angestrebte Ziel zu beurteilen. Die Mittel sind deshalb nur dann angemessen und erforderlich, wenn sie es erlauben, das mit der unterschiedlichen Behandlung verfolgte Ziel zu erreichen, ohne zu einer übermäßigen Beeinträchtigung der legitimen Interessen derjenigen Arbeitnehmer zu führen, die wegen ihres Alters benachteiligt werden, und die Maßnahme nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung des angestrebten Ziels notwendig ist (vgl. etwa BAG vom 11.08.2016 – 8 AZR 4/15 – Rn. 105).
Im konkreten Fall konnte das BAG diese Frage aber offen lassen.
Rechtsmissbrauch?
Denn das BAG hat angenommen, dass das Entschädigungsverlangen des 74jährigen Klägers dem durchgreifenden Rechtsmissbrauchseinwand (§ 242 BGB) ausgesetzt ist:
Dies folgt allerdings nicht allein daraus, dass die Bewerbung zahlreiche ins Auge springende Rechtschreib- sowie Grammatikfehler aufweist und eine für ein solches Schreiben ungewöhnliche Wortwahl wie beispielsweise die Formulierung „[bin] sicherlich nicht klüger als meine Mitbewerbe“ enthält. Denn wie viel „Mühe“ ein Bewerber sich mit seiner Bewerbung gibt, wie ansprechend seine Präsentation ist und wie eindringlich und überzeugend er sein Interesse an der ausgeschriebenen Stelle bekundet, ist hierfür nicht entscheidend.
Die Rechtsmissbräuchlichkeit folgt laut BAG jedoch aus dem Bewerbungsschreiben i.V.m. mit weiteren Schreiben sowie dem Verhalten im Bewerbungsverfahren unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Stellenausschreibung. U.a. hat das BAG auf folgende Umstände abgestellt:
- Das höhere und oberhalb der Regelaltersgrenze liegende Lebensalter wurde deutlich in den Vordergrund gerückt.
- Der Hinweis des Klägers auf die pensionsbedingte Höchstverdienstgrenze belegt i.V.m. mit Eingruppierung der Stelle, dass Kläger keine Vollzeitbeschäftigung, sondern allenfalls eine Teilzeitbeschäftigung wollte, obgleich er die in der Stellenausschreibung genannten Voraussetzungen für eine Teilzeitbeschäftigung nicht erfüllte. Ob die Vorgaben der Stellenausschreibung hinsichtlich einer möglichen Teilzeitbeschäftigung rechtlichen Bedenken ausgesetzt sind, ist für die Frage eines etwaigen Rechtsmissbrauchs nicht von Belang.
- Der Kläger ging nur oberflächlich auf seine Ausbildung und auch auf einige verlangte Anforderungen ein und setzte sich mit in der Stellenbeschreibung genannten weiteren Kriterien überhaupt nicht auseinander, während auf der anderen Seite Gesichtspunkte, die in Zusammenhang mit seinem Lebensalter stehen, breiten Raum einnahmen.
- Der Kläger hat sich im Bewerbungsverfahren mehrfach ungewöhnlich verhalten und ausgedrückt (Wortwahl). So wollte er z.B. das Online-Bewerbungssystem nicht nutzen und „stornierte“ auf entsprechende Aufforderung hierzu zunächst seine Bewerbung statt um Unterstützung zu bitten, erneuerte sie später aber, ohne sein Verhalten zu erläutern. Darauf, ob Arbeitgeber von potentiellen Bewerber/innen zulässigerweise verlangen dürfen, ihre Bewerbung/en ausschließlich über ein Online-Bewerbungssystem einzureichen, kommt es für die Frage eines etwaigen Rechtsmissbrauchs nicht an.
- Nach der Stellenausschreibung gehörte ein „gutes mündliches und schriftliches Ausdrucksvermögen“ ausdrücklich zum Anforderungsprofil der zu besetzenden Stelle. Allein aus einer – wie hier – gegebenen Häufung von Rechtschreib- und Grammatikfehlern im Bewerbungsschreiben kann in der Regel zwar nicht generell auf eine mangelnde Ernsthaftigkeit der Bewerbung geschlossen werden. Im konkreten Fall musste dem Kläger mit seiner Qualifikation bewusst gewesen sein, dass dies für die Stelle problematisch ist. Seine unterlassene Sorgfalt lässt vorliegend den Schluss darauf zu, dass es ihm nicht ernsthaft um eine erfolgreiche Bewerbung ging. Gleiches gilt für seinen einen offenbarten Mangel an Freundlichkeit, obwohl diese Eigenschaft im Anforderungsprofil für die Stelle explizit genannt war, sowie auch für seine mangelnde und geradezu „zur Schau getragene“ Aufgeschlossenheit für IT-Anwendungen, obwohl diese Eigenschaft ebenfalls zum Stellenprofil gehörte.
- Die Wortwahl der Kläger bei der Erneuerung seiner Bewerbung, nachdem er diese zunächst „storniert“ hatte, wonach er „grundsätzlich Interesse …“ hat, belegt, dass er nicht den Eindruck eines unbedingt interessierten Bewerbers vermitteln wollte, sondern dass es ihm vielmehr darum ging, lediglich den formalen Status eines Bewerbers zu behalten bzw. zu reaktivieren.
Bewertung
Die Entscheidung des BAG hat leider keine Klarheit für die umstrittene Frage gebracht, ob die Bindung des Arbeitgebers an eine tarifliche Altersgrenze die Zurückweisung der Bewerbung von Personen im Altersruhestand allein wegen der Rentenberechtigung rechtfertigen kann.
Der Entscheidung können jedoch hilfreiche Hinweise/Argumente für den Einwand des Rechtsmissbrauchs entnommen werden. Wie auch in den vielen anderen Fällen ist insoweit eine sorgfältige Aufarbeitung und Darlegung des Sachverhalts geboten.
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner
E-Mail: kuehnel@vahlekuehnelbecker.de
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