BAG: Arbeitgeber kann je nach Umständen einseitig Corona-Tests anordnen

Von DR. ARTUR KÜHNEL, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner

Das BAG hat in einem aktuellen und mit Spannung erwarteten Urteil entschieden, dass der Arbeitgeber zur Umsetzung der ihn treffenden arbeitsschutzrechtlichen Verpflichtungen berechtigt sein kann, auf Grundlage eines betrieblichen Schutz- und Hygienekonzepts Corona-Tests einseitig anzuordnen (BAG, Urteil vom 01.06.2022, 5 AZR 28/22, Pressemitteilung 21/22). in Folge dessen konnte die solche Tests (zunächst) verweigernde Arbeitnehmerin keine (Annahmeverzugs-)Vergütung für die ausgefallene Arbeit verlangen.


Der Fall (laut Pressemitteilung des BAG)

Die Parteien streiten über Vergütung wegen Annahmeverzugs und im Zusammenhang damit über die Verpflichtung der Klägerin, sich auf eine Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus testen zu lassen.

 

Die Klägerin war als Flötistin an der Bayerischen Staatsoper beschäftigt. Zu Beginn der Spielzeit 2020/21 hat die Bayerische Staatsoper, nachdem sie zum Schutz der Mitarbeiter vor COVID-19-Erkrankungen bereits bauliche und organisatorische Maßnahmen wie den Umbau des Bühnenbereichs und die Neuregelung von Zu- und Abgängen ergriffen hatte, im Rahmen ihres betrieblichen Hygienekonzepts in Zusammenarbeit u.a. mit dem Institut für Virologie der Technischen Universität München und dem Klinikum rechts der Isar eine Teststrategie entwickelt. Vorgesehen war die Einteilung der Beschäftigten in Risikogruppen und je nach Gruppe die Verpflichtung zur Durchführung von PCR-Tests in unterschiedlichen Zeitabständen. Als Orchestermusikerin sollte die Klägerin zunächst wie alle Mitarbeiter zu Beginn der Spielzeit einen negativen PCR-Test vorlegen und in der Folge weitere PCR-Tests im Abstand von ein bis drei Wochen vornehmen lassen. Die Bayerische Staatsoper bot hierfür kostenlose PCR-Tests an, alternativ konnten die Mitarbeiter PCR-Testbefunde eines von ihnen selbst ausgewählten Anbieters vorlegen. Der Klägerin wurde mitgeteilt, dass sie ohne Testung nicht an Aufführungen und Proben teilnehmen könne. Sie hat sich geweigert, PCR-Tests durchführen zu lassen und insbesondere gemeint, diese seien zu ungenau und stellten einen unverhältnismäßigen Eingriff in ihre körperliche Unversehrtheit dar. Anlasslose Massentests seien unzulässig. Der beklagte Freistaat hat daraufhin in der Zeit von Ende August bis Ende Oktober 2020 die Gehaltszahlungen eingestellt. Seit Ende Oktober 2020 legte die Klägerin ohne Anerkennung einer Rechtspflicht PCR-Testbefunde vor.

 

Mit ihrer Klage hat sie für die Zeit von Ende August bis Ende Oktober 2020 Vergütung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs (§§ 615, 293 ff. BGB) begehrt, hilfsweise die Bezahlung der Zeiten häuslichen Übens. Weiter verlangt sie, ohne Verpflichtung zur Durchführung von Tests jedweder Art zur Feststellung von SARS-CoV-2 beschäftigt zu werden. 

 

Entscheidungen der Vorinstanzen

Arbeitsgericht und LAG haben die Klage abgewiesen.

 

Das LAG (Urteil vom 26. Oktober 2021 – 9 Sa 332/21) hat die Anordnung regelmäßiger Corona-Tests als von § 4 Abs. 2 TVK gedeckt angesehen. Der Arbeitgeber sei den anderen Arbeitnehmern aus § 618 Abs. 1 BGB zum Schutz vor Ansteckung verpflichtet. Die Tests seien hierfür sowohl geeignet als auch jedenfalls im Orchester erforderlich, zumal die Klägerin als Flötistin keine Maske tragen könne. Die mit den Tests verbundenen Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit und das allgemeine Persönlichkeitsrecht seien relativ gering und durch den Gesundheitsschutz der Kollegen sowie das Arbeitgeberinteresse an der Aufrechterhaltung des Proben- und Aufführungsbetriebs gerechtfertigt. Art. 9 Abs. 2 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) erlaube auch die Erhebung der Testdaten. Infolgedessen habe die Klägerin keinen Anspruch auf Gehaltsnachzahlung für August bis Oktober 2020, weil der Beklagte sich nicht in Annahmeverzug befunden habe. Das Üben schließlich sei nicht die geschuldete Arbeitsleistung, sondern eine bloße Obliegenheit der Klägerin und daher nicht zu vergüten.

 

Mit der vom BAG auf Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin zugelassenen Revision verfolgte diese ihr Begehren weiter.

  

Entscheidung des BAG

Auch vor dem BAG hatte die Klägerin keinen Erfolg.

 

Grundsätzlich hat das BAG Folgendes festgestellt:

  • Der Arbeitgeber ist nach § 618 Abs. 1 BGB verpflichtet, die Arbeitsleistungen, die unter seiner Leitung vorzunehmen sind, so zu regeln, dass die Arbeitnehmer gegen Gefahren für Leben und Gesundheit soweit geschützt sind, als die Natur der Arbeitsleistung es gestattet. Die öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutznormen des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) konkretisieren den Inhalt der Fürsorgepflichten, die dem Arbeitgeber hiernach im Hinblick auf die Sicherheit und das Leben der Arbeitnehmer obliegen.
  • Zur Umsetzung arbeitsschutzrechtlicher Maßnahmen kann der Arbeitgeber Weisungen nach § 106 Satz 2 GewO hinsichtlich der Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb erteilen. Das hierbei zu beachtende billige Ermessen wird im Wesentlichen durch die Vorgaben des ArbSchG konkretisiert.

Hiervon ausgehend hat das BAG im konkreten Fall wie folgt entschieden:

  • Die Anweisung zur Durchführung von PCR-Tests nach dem betrieblichen Hygienekonzept war rechtmäßig. Die Bayerische Staatsoper hat mit Blick auf die pandemische Verbreitung von SARS-CoV-2 mit diffusem Ansteckungsgeschehen zunächst technische und organisatorische Maßnahmen ergriffen, diese aber als nicht als ausreichend erachtet. Sie hat sodann – auch um den Vorgaben der Sechsten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmen-Verordnung zu genügen – mit wissenschaftlicher Unterstützung ein Hygienekonzept erarbeitet, das für Personen aus der Gruppe der Orchestermusiker PCR-Tests alle ein bis drei Wochen vorsah. Hierdurch sollte der Spielbetrieb ermöglicht und die Gesundheit der Beschäftigten geschützt werden. Die auf diesem Konzept beruhenden Anweisungen an die Klägerin entsprachen billigem Ermessen iSv. § 106 GewO.
  • Der mit der Durchführung der Tests verbundene minimale Eingriff in die körperliche Unversehrtheit ist verhältnismäßig.
  • Auch das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung macht die Testanordnung nicht unzulässig, zumal ein positives Testergebnis mit Blick auf die infektionsschutzrechtlichen Meldepflichten und die Kontaktnachverfolgung ohnedies im Betrieb bekannt wird.
  • Da hiernach die arbeitgeberseitige Anweisung zur Umsetzung des betrieblichen Hygienekonzepts rechtmäßig war, hat der beklagte Freistaat zu Recht eingewandt, dass Vergütungsansprüche wegen Annahmeverzugs im streitgegenständlichen Zeitraum jedenfalls mit Blick auf den fehlenden Leistungswillen der Klägerin, die die Durchführung von PCR-Tests verweigert hat, nicht bestehen (vgl. § 297 BGB).
  • Der auf die Bezahlung der Zeiten häuslichen Übens gerichtete Hilfsantrag ist gleichfalls unbegründet. Eine Vergütung dieser Zeiten ist nur geschuldet, soweit sie auf die tarifvertraglich geregelten Dienste – Proben und Aufführungen – bezogen sind. An diesen hat die Klägerin im Streitzeitraum nicht teilgenommen.
  • Der Beschäftigungsantrag, mit dem die Klägerin ihren Einsatz ohne Verpflichtung zur Durchführung von Tests jedweder Art zur Feststellung von SARS-CoV-2 erreichen wollte, ist als sog. Globalantrag schon deshalb unbegründet, weil bereits der für die Zahlungsanträge maßgebliche Zeitraum zeigt, dass wirksame Testanordnungen möglich sind.

Bewertung und Beraterhinweis

Die Entscheidung des BAG ist nachvollziehbar und gut begründet. Sie ist eine erfreuliche Klarstellung, unter welchen Voraussetzungen Weisungen zu Tests - auch ohne eine gesonderte (insbes. gesetzliche) Rechtsgrundlage - zulässig sein können.

 

Dabei liegt in der Aussage, dass der Arbeitgeber berechtigt sein kann, solche Tests einseitig anzuordnen, die Betonung auf dem Wort "kann". Auch in diesem Fall erteilt das BAG dem Arbeitgeber keinen, von den konkreten Umständen des Einzelfalles losgelösten "Blankoscheck", sondern prüft im Rahmen von § 106 GewO vorzunehmenden Interessenabwägung offenbar gründlich, ob sich die für die Weisung angeführten Umstände auch im jeweiligen Einzelfall durchzusetzen vermögen.

 

Somit ist hier - wie auch sonst eigentlich fast immer - eine gründliche (und jdf. intern auch selbstkritische) Sachverhaltsaufbereitung und Bewertung der auf dieser Grundlage beabsichtigten Maßnahme geboten.  

DR. ARTUR KÜHNEL
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner
Tel.: +49 40 34 80 99 0
E-Mail: kuehnel@vahlekuehnelbecker.de

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