Von DR. ARTUR KÜHNEL, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner
In einem aktuellen Urteil hatte das Arbeitsgericht Kiel zu entscheiden, ob ein bereits im Homeoffice tätiger Arbeitnehmer entgegen einer Weisung, zwei Wochen lang vor Ort im Betrieb zu erscheinen, u.a. aus Angst vor einer Ansteckung mit COVID-19 im Homeoffice bleiben durfte oder ob dies Arbeitsverweigerung war.
Anm.: Dieser Blogbeitrag ist in leicht abgewandelter Form auch als Beitrag im Expertenforum Arbeitsrecht (#EFAR) erschienen.
Das Thema
Der vorliegende Beitrag befasst sich mit einem aktuellen Urteil des Arbeitsgerichts Kiel (Urteil vom 11.03.2021 – 6 Ca 1912 c/20). Im Wesentlichen ging es darum, dass ein sich als Risikopatient ansehender und seit Monaten im Homeoffice tätiger Arbeitnehmer entgegen ihm erteilter Weisung, zwei Wochen lang vor Ort im Betrieb zwei neue Beschäftigte einzuarbeiten, u.a. aus Angst vor einer Ansteckung mit COVID-19 im Homeoffice geblieben ist. Der Arbeitgeber hat ihm daraufhin wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung außerordentlich gekündigt.
Sachverhalt der aktuellen Entscheidung
Der Arbeitnehmer war bei der Arbeitgeberin der einzige Mitarbeiter mit seinem Aufgabenbereich (Webentwickler, Betreuung der Produktivsysteme). Im Zuge der Corona-Pandemie teilte er der Arbeitgeberin im März 2020 mit, dass er Risikopatient sei (Asthma). Er führte sodann, wie die überwiegende Anzahl der Mitarbeiter, seine Tätigkeit im Homeoffice fort. Im November 2020 wurde ihm für fünf Wochen Urlaub ab Mitte Dezember 2020 genehmigt, damit er seine Familie im Ausland besuchen kann.
In den beiden Wochen vor dem Urlaub hatte der Arbeitnehmer zwei neu eingestellte Mitarbeiter vor Ort im Betrieb einzuarbeiten. Dem kam er am 01.12.2020 und am 04.12.2020, einem Freitag, bis mittags nach. Der Arbeitgeberin sagte er dann, dass die Einarbeitung beendet sei. Auf Nachfrage der Arbeitgeberin sahen das die Einzuarbeitenden deutlich anders, so dass der Arbeitnehmer angewiesen wurde, die Einarbeitung bis zu seinem Urlaub vor Ort im Betrieb fortzusetzen. Er verweigerte dies jedoch und verließ den Betrieb. Vorher sagte er noch, dass er auch in den folgenden Tagen nicht mehr in den Betrieb kommen werde. Am Montag, den 07.12.2020, erschien der Arbeitnehmer auch nicht im Betrieb. Daraufhin wurde er nochmals aufgefordert, die Einarbeitung im Betrieb fortzusetzen. Der Arbeitnehmer verwies erneut darauf, dass die Einarbeitung beendet sei. Er teilte ferner mit, dass er wegen Corona nicht persönlich zur Arbeit gehen wolle, da seine Urlaubsreise in sein Heimatland bereits geplant sei, und er nicht das Risiko eingehen wollen, sich in der Firma noch zu infizieren. Auf die Frage der Arbeitgeberin, ob dies seine endgültige Entscheidung sei, bejahte der Arbeitnehmer dies. Daraufhin kündigte ihm die Arbeitgeberin noch am selben Tag u.a. außerordentlich fristlos. Hiergegen hat der Arbeitnehmer Klage erhoben.
Arbeitsgericht: Kündigung wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung wirksam
Das Arbeitsgericht hat die Kündigung wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung des Arbeitnehmers als wirksam angesehen. Kurz zusammengefasst hat es dies wie folgt begründet:
- Die beharrliche Weigerung eines Arbeitnehmers, seine arbeitsvertraglichen Pflichten zu erfüllen, sei „an sich“ geeignet, selbst eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Der Arbeitnehmer habe sich beharrlich geweigert, seine arbeitsvertragliche Verpflichtung, die Tätigkeit im Betrieb vor Ort zu erbringen, zu erfüllen.
- Die Arbeitgeberin sei berechtigt gewesen, ihn anzuweisen, seine Tätigkeit vor Ort zu erbringen. Der Arbeitsvertrag der Parteien habe sich nicht etwa auf eine Tätigkeit im Homeoffice konkretisiert. Anhaltspunkte, dass der der Arbeitnehmer arbeitsvertraglich nicht verpflichtet werden könnte, neue Mitarbeiter einzuarbeiten, seien nicht ersichtlich. Die Weisung entspreche auch im Einzelfall billigem Ermessen und sei wirksam (§ 106 S. 1 GewO, § 315 BGB).
- Die Interessenabwägung im Einzelfall führe dazu, dass die Interessen der Arbeitgeberin auf sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Interessen des Arbeitnehmers auf auch nur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist überwiegen würden. Eine vorherige Abmahnung sei entbehrlich gewesen, da nicht zu erwarten gewesen sei, dass der Arbeitnehmer ausweislich des Sachverhalts durch eine entsprechende Abmahnung noch umgestimmt worden wäre.
Hier nicht zu diskutieren sind die Ausführungen des Arbeitsgerichts zu allgemeinen kündigungsrechtlichen Fragen, wie zur Beharrlichkeit der Arbeitsverweigerung oder zur Interessenabwägung und insbesondere der Entbehrlichkeit einer Abmahnung. Vielmehr interessieren vorliegend diejenigen Ausführungen des Arbeitsgerichts, die sich mit der gegenwärtig andauernden Pandemie und dem Thema Homeoffice befassen. Hierzu hat das Arbeitsgericht Folgendes ausgeführt:
- Die Weisung der Arbeitgeberin sei nicht deshalb unbillig gewesen, weil diese etwa damit ihre Pflichten gemäß § 618 Abs. 1 BGB i.V.m. den öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutznormen, insbes. § 4 ArbSchG, nicht genügt hätte mit der Konsequenz, dass dem Arbeitnehmer gemäß § 275 BGB ein Zurückbehaltungsrecht zugestanden hätte.
- Diese Arbeitsschutznormen würden durch den Sars-CoV-2-Arbeitsschutzstandard vom 16.04.2020 sowie durch die Sars-CoV-2-Arbeitsschutzregel vom 20.08.2020 näher konkretisiert (Anm.: die Sars-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung vom 27.01.2021 gab es im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung noch nicht). Gemäß II.6. des Sars-CoV-2-Arbeitsschutzstandard seien Büroarbeiten lediglich nach Möglichkeit im Homeoffice auszuführen und zwar insbesondere dann, wenn die Büroräume von mehreren Personen mit zu geringen Schutzabständen genutzt werden müssten. Gemäß 4.2.4 der Sars-CoV-2-Arbeitsschutzregel werde Homeoffice lediglich als Form der mobilen Arbeit mit der Möglichkeit, die Zahl der gleichzeitig im Betrieb anwesenden Beschäftigten zu reduzieren und die Einhaltung von Abstandsregeln zu unterstützen, dargestellt. Hieraus lasse sich insgesamt kein Zwang zum Homeoffice ableiten, schon gar nicht für Tätigkeiten, die ausschließlich vor Ort durchgeführt werden müssen.
- Die Möglichkeit eines besonders schweren Verlaufs einer Corona-Erkrankung schließt die Beschäftigung vor Ort nicht generell aus. Dies wäre nur dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer nicht allein mit mehr oder weniger hoher Gefährdung Risikopatient wäre, sondern wenn er aufgrund Vorerkrankung ein attestiertes derartig hohes Risiko für einen schweren Corona-Erkrankungs-Verlauf hätte, dass jegliche Beschäftigung im Büro mit anderen Mitarbeitern unverantwortlich wäre. Dies sei vorliegend nicht gegeben.
- Angesichts der Arbeitsbedingungen vor Ort mit einem großen Raum, der ausreichende Abstand ermöglicht habe und dem Tragen von Mund-Nasenbedeckung sei die Einarbeitung vor Ort auch verantwortbar gewesen.
- In keinem Fall habe die Arbeitgeberin bei ihrer Ermessensausübung das Interesse des Arbeitnehmers zu berücksichtigen gehabt, dass dieser auch tatsächlich während seines Urlaubs in sein Heimatland reisen könne, indem er sich vorab quasi in häusliche Quarantäne begeben würde. Die arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung sei keine Vorbereitung für einen geglückten Urlaub.
- Im Übrigen sei es wenig glaubhaft, von einem besonderen Erkrankungsrisiko auszugehen und dann das Risiko einer Reise ins Ausland einzugehen. Jedenfalls zum Zeitpunkt des Urlaubsantritts habe eine Reisewarnung für das Heimatland des Arbeitnehmers bestanden. Er könne nicht einerseits aufgrund seiner besonderen Gefährdung verlangen, dass er seine Arbeit ausschließlich im Homeoffice zu erbringen habe, um andererseits die Gefährdung durch eine Reise in ein Risikogebiet, sei es auch aus familiären Gründen, im Privaten ohne weiteres einzugehen.
Diese Ausführungen des Arbeitsgerichts und die Bewertung des konkreten Falls sind nachvollziehbar. Insbesondere gilt dies für die Erwägungen in den beiden letzten, vorstehend aufgeführten Spiegelstrichen (auch wenn die Heimfahrt zur Familie – wenn es sich z.B. um Ehepartner und Kinder handeln sollte – u.a. mit Blick auf Art. 6 GG vom Arbeitsgericht etwas sehr pauschal behandelt worden sein könnte). Auf Grundlage des seinerzeit geltenden Rechts sind die Wertungen des Arbeitsgerichts zum Homeoffice auch zutreffend.
Andere Entscheidung bei derzeit geltender Regelung zur Homeoffice-„Pflicht“?
Da der Sachverhalt, den das Arbeitsgericht zu beurteilen hatte, Anfang Dezember 2020 spielte, hatte es nicht darüber entscheiden, wie sich die erst später in Kraft gesetzte und derzeit bis zum 30. Juni 2021 geltende Homeoffice-„Pflicht“ auf den Fall auswirken würde.
Diese Regelung zur Homeoffice-„Pflicht“ wurde zunächst in die Sars-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung vom 21. Januar 2021 aufgenommen (siehe hierzu den #EFAR-Beitrag Homeoffice: Aktuelle und künftige Regelungen durch Corona-ArbSchV und Mobile Arbeit Gesetz). Dort hieß es in § 2 Abs. 4: „Der Arbeitgeber hat den Beschäftigten im Fall von Büroarbeit oder vergleichbaren Tätigkeiten anzubieten, diese Tätigkeiten in deren Wohnung auszuführen, wenn keine zwingenden betriebsbedingten Gründe entgegenstehen.“ Mit Wirkung zum 23. April 2021 wurde die Regelung in § 28b Abs. 7 S. 1 IfSG überführt und inhaltlich um einen neuen Satz ergänzt (siehe hierzu den #EFAR-Beitrag Homeoffice-„Pflicht“ jetzt auch für Beschäftigte?). Die Regelung lautet nunmehr: „Der Arbeitgeber hat den Beschäftigten im Fall von Büroarbeit oder vergleichbaren Tätigkeiten anzubieten, diese Tätigkeiten in deren Wohnung auszuführen, wenn keine zwingenden betriebsbedingten Gründe entgegenstehen. Die Beschäftigten haben dieses Angebot anzunehmen, soweit ihrerseits keine Gründe entgegenstehen.“
Da der Arbeitnehmer in dem vom Arbeitsgericht entschiedenen Fall auf die Ausführung seiner Tätigkeiten im Homeoffice bestand, wäre die durch den Arbeitnehmer zu erklärende Annahme des Angebots i.S.v. § 28b Abs. 7 S. 2 IfSG vorliegend unproblematisch. Ob die Vorschrift aufgrund der vom Normgeber verwendeten rechtsgeschäftlichen Terminologie „Angebot und Annahme“ (vgl. §§ 145 ff. BGB) in einer unmittelbar das Verhältnis zweier Privatrechtssubjekte betreffenden Regelung (auch) indivualrechtlichen Charakter hat oder (wie bei der Sars-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung wohl allgemein vertreten) nur eine Geltung im Verhältnis Arbeitgeber zum Staat beansprucht, dürfte dabei nicht entscheidend sein. Auch im letzteren Fall kann § 28b Abs. 7 S. 2 IfSG über ein Zurückbehaltungsrecht des Arbeitnehmers nach § 273 Abs. 1 BGB wegen Verstoßes gegen die Arbeitsschutzvorgaben im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer relevant werden (nicht zu verwechseln mit dem Leistungsverweigerungsrecht wegen Unzumutbarkeit nach § 275 Abs. 3 BGB).
Da der Arbeitnehmer vorliegend, wie andere Mitarbeiter der Arbeitgeberin auch, bereits seit März 2020 seiner Tätigkeit im Homeoffice nachging, könnte offensichtlich auch nicht die Rede davon sein, dass der Ausführung der vom Arbeitnehmer verrichteten Tätigkeiten im Homeoffice generell „zwingende betriebsbedingte Gründe entgegenstehen“ würden. Gleiches gilt natürlich für das Vorliegen von „Büroarbeit oder vergleichbaren Tätigkeiten“. Dabei deutet schon der Wortlaut der Regelung („Tätigkeiten“ im Plural) darauf hin, dass es hier nicht zwingend auf „ganz oder gar nicht“ hinauslaufen muss: So ist es z.B. möglich, dass bei einer Stelle die meisten Tätigkeiten nicht Homeoffice-geeignet sind, während einige es wären, dann aber insgesamt vom Homeoffice abzusehen ist. Umgekehrt ist es natürlich auch möglich, dass die meisten ausgeführten Tätigkeiten Homeoffice-geeignet sind, gelegentlich aber eben auch Tätigkeiten auszuführen sind, die nicht im Homeoffice ausführbar sind. Dann ist Homeoffice in der Regel, aber eben nicht immer möglich.
Betriebsbedingte Gründe können nach der Gesetzesbegründung (Bundestags-Drucksache 19/28732, Seite 20) vorliegen, wenn die Betriebsabläufe sonst erheblich eingeschränkt würden oder gar nicht aufrechterhalten werden können. Technische oder organisatorische Gründe, wie zum Beispiel die Nichtverfügbarkeit benötigter IT-Ausstattung, notwendige Veränderungen der Arbeitsorganisation oder eine unzureichende Qualifizierung der Beschäftigten, sollen in der Regel nur vorübergehend angeführt werden können. Und das den „betriebsbedingten Gründen“ vom Normgeber vorangestellte Wort „zwingende“ deutet darauf hin, dass nicht jede betrieblich gestützte (nachvollziehbare) Begründung ausreicht, sondern dass die Tätigkeiten nicht oder jedenfalls nicht sinnvoll im Homeoffice erledigt werden können.
Legt man diesen Maßstab an den vorliegend vom Arbeitsgericht entschiedenen Sachverhalt an, kann man durchaus Zweifel daran haben, dass der Arbeitgeber auch unter Geltung der Regelung zur Homeoffice-„Pflicht“ mit einem (jedenfalls laut der Entscheidung des Arbeitsgerichts) nicht näher begründeten Bedarf nach einer Einarbeitung gerade vor Ort im Betrieb hätte durchdringen können. Es wird Fälle geben, in denen dies begründbar sein wird. Der alleinige pauschale Verweis darauf, dass eine Einarbeitung vor Ort wegen des direkten persönlichen Kontakts stets besser sei, dürfte hingegen nicht ausreichend sein. Auch die Feststellung, dass der direkte persönliche Kontakt wohl ganz überwiegend bevorzugt wird, reicht nicht. Und auch die gelebte Praxis einiger, überwiegend aus dem Homeoffice agierender Unternehmen, die eine digitale Einarbeitung aus der Ferne bereits praktizieren, dürfte so eine Pauschalbehauptung entkräften (siehe dazu auch etwa die bereits seit letztem Jahr erschienenen diversen Artikel und Ratgeber zur Einarbeitung bzw. zum Onboarding im Homeoffice, wie z.B. der Handelsblatt-Artikel aus dem Mai 2020 Jobstart in Corona-Zeiten: So klappt die Einarbeitung von zu Hause aus).
Sollte der Sachverhalt so gelagert sein, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer mangels zwingender entgegenstehender Gründe gestatten müsste, seine Tätigkeiten vom Homeoffice aus zu erledigen, käme es auf die Gründe und Motive des Arbeitnehmers für das Homeoffice gar nicht weiter an (wie etwa auf eine Angst vor Ansteckung oder die als gefährdet angesehene Heimreise zur Familie im Ausland). Ein Beharren des Arbeitnehmers auf dem Homeoffice trotz Weisung des Arbeitgebers, im Betrieb zu arbeiten, wäre dann unbeachtlich und eine Arbeitsverweigerung als Grundlage für eine Kündigung bereits nicht gegeben, ohne dass es auf deren Beharrlichkeit oder auf eine Entbehrlichkeit der Abmahnung ankommen würde.
Die vorgestellte Entscheidung des Arbeitsgerichts Kiel ist ein anschauliches Beispiel dafür, welche Konflikte die aktuelle Pandemie mit sich bringen kann und dass es im Ergebnis durchaus davon abhängt, welche konkreten Regelungen der zuletzt im Arbeitsrecht sehr aktive Gesetzgeber gerade in Kraft oder eben außer Kraft gesetzt hat. Man könnte sagen, dass zur Volatilität des Arbeitslebens als Herausforderung für das Arbeitsrecht nunmehr (und wohl vorübergehend) auch eine hohe Volatilität von Teilbereichen des Arbeitsrechts selbst als weitere Herausforderung hinzugekommen ist.
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner
E-Mail: kuehnel@vahlekuehnelbecker.de
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