Von DR. ARTUR KÜHNEL, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner
Das Bundesarbeitsgericht hat in einer aktuellen Entscheidung wieder die Gelegenheit gehabt, zur Einordnung von Zeiten, die ein Arbeitnehmer im Interesse des Arbeitgebers aufwendet, Stellung zu nehmen. Zum einen ging es um die Frage, ob die Zeiten als Arbeitszeit einzuordnen sind. Zum anderen ging es um die Frage der Vergütungspflicht der Zeiten.
BAG, Urt. v. 25.04.2018 – 5 AZR 424/17
Konkret ging es im vom Bundesarbeitsgericht (BAG) entschiedenen Fall um die Einordnung von Fahrten des Arbeitnehmers zu und von auswärtigen Montageorten; Ausgangsort sowie am Zielort war jeweils die Wohnung des Arbeitnehmers.
Fall:
Dem als Aufzugs- und Inspektionsmonteur bei der Arbeitgeberin tätigen Arbeitnehmer oblag die Wartung, Montage und Reparatur von Aufzugsanlagen. Hierfür stellte ihm die Arbeitgeberin ein mit den erforderlichen Werkzeugen und Ersatzteilen bestücktes Kraftfahrzeug zur Verfügung, das der Arbeitnehmer auch privat nutzen durfte.
Die Arbeitgeberin weist ihren Monteuren monatlich die jeweils zu wartenden Aufzugsanlagen in Sammelaufträgen zu. Der Arbeitnehmer fuhr morgens von seiner Wohnung zum ersten Kunden des Arbeitstags und vom letzten Kunden dorthin zurück. Den Betrieb der Arbeitgeberin suchte er nur für organisatorische Tätigkeiten auf.
Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme der Bundesmontagetarifvertrag (BMTV) Anwendung. In diesem Tarifvertrag sind nähere Bestimmung zu Montagestammarbeitern und deren Tätigkeit enthalten. Nach § 4.4.1 BMTV kann Ausgangspunkt für die sog. Nahmontage (Montage, bei der dem Montagestammarbeiter die tägliche Rückkehr zum Ausgangspunkt zumutbar ist) u.a. auch die Wohnung des Montagestammarbeiters sein. In § 5.1 Abs. 1 BMTV ist geregelt: „ Die Nahauslösung ist eine Pauschalerstattung, die den arbeitstäglichen Mehraufwand bei auswärtigen Montagearbeiten im Nahbereich abdecken soll. Eine Vergütung für den Zeitaufwand der Hin- und Rückreise erfolgt nicht."
Für die Fahrten des Arbeitnehmers von seiner Wohnung zum ersten Kunden des Arbeitstags und vom letzten zurück zur Wohnung zahlt die Arbeitgeberin keine gesonderte Vergütung, sondern lediglich die Nahauslösung. Der Arbeitnehmer hat hingegen die Auffassung vertreten, die Fahrzeiten seien vergütungspflichtige Arbeitszeit.
Entscheidung des BAG:
Wie bereits vor dem Arbeitsgericht und dem Landesarbeitsgericht ist der Arbeitnehmer mit seiner Begehren auch vor dem BAG unterlegen. Das BAG hat der Entscheidung folgende, überwiegend auch bereits in früheren Entscheidungen aufgestellte Grundsätze zugrunde gelegt und bestätigt:
- Grundsätzlich erbringt der Arbeitnehmer mit dem - eigennützigen - Zurücklegen des Wegs von der Wohnung zur Arbeitsstelle und zurück keine Arbeit für den Arbeitgeber. Anders ist es jedoch, wenn der Arbeitnehmer seine Tätigkeit außerhalb des Betriebs zu erbringen hat.
- In diesem Falle gehört das Fahren zur auswärtigen Arbeitsstelle zu den vertraglichen Hauptleistungspflichten, weil das wirtschaftliche Ziel der Gesamttätigkeit darauf gerichtet ist, verschiedene Kunden aufzusuchen - sei es, um dort wie im Streitfall Dienstleistungen zu erbringen, sei es, um Geschäfte für den Arbeitgeber zu vermitteln oder abzuschließen.
- Dazu gehört dann auch zwingend die jeweilige Anreise. Nicht nur die Fahrten zwischen den Kunden, auch die zum ersten Kunden und vom letzten Kunden zurück bilden mit der übrigen Tätigkeit eine Einheit und sind insgesamt die Dienstleistung i.S.d. §§ 611, 612 BGB. Das ist unabhängig davon, ob Fahrtantritt und -ende vom Betrieb des Arbeitgebers oder von der Wohnung des Arbeitnehmers aus erfolgen, und gilt erst recht, wenn der Arbeitnehmer bei An- und Abreise ein Fahrzeug mit den für die auswärtige Tätigkeit erforderlichen Werkzeugen, Ersatzteilen u.ä. führen muss.
- Die Einordnung der Fahrten als Arbeit und der dafür aufgewendeten Zeit als Arbeitszeit klärt indes noch nicht die Frage ihrer Vergütung.
- Denn durch Arbeits- oder Tarifvertrag kann eine gesonderte Vergütungsregelung für eine andere als die eigentliche Tätigkeit und damit auch für Fahrten der vorliegenden Art getroffen werden.
- Europarecht steht dem nicht entgegen. Denn der Europäische Gerichtshof hat mehrfach betont, dass die europäische Arbeitszeitrichtlinie nicht Fragen des Arbeitsentgelts für Arbeitnehmer regelt, weil dieser Aspekt nach Art. 153 Abs. 5 AEUV außerhalb der Zuständigkeit der Union liegt.
In Anwendung dieser Grundsätze hat das BAG die Fahrten im vorliegenden Fall zwar als Arbeitszeit eingestuft. Jedoch hat es eine Vergütungspflicht für die Fahrten verneint. Denn eine (gesonderte) Vergütung für die Fahrten des Arbeitnehmer von seiner Wohnung zum ersten Kunden des Arbeitstags und vom letzten zurück zur Wohnung war nach § 5.1 Abs. 1 Satz 2 BMTV ausgeschlossen. Laut BAG ergibt sich dies mit der erforderlichen Klarheit bereits aus dem Wortlaut der Tarifnorm und auch aus dem systematischen Zusammenhang mit anderen Bestimmungen des BMTV. Dieses Vergütungskonzept hätten die Gerichte für Arbeitssachen hinzunehmen. Es seien keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass die Tarifvertragsparteien mit dieser Vergütungsregelung den ihnen durch Art. 9 Abs. 3 GG eingeräumten weiten Gestaltungsspielraum überschritten hätten.
Daneben hat das Bundesarbeitsgericht noch geprüft, ob der gesetzliche Mindestlohn vorliegend eingehalten worden ist, und dies klar bejaht ("Nach dem vom Landesarbeitsgericht festgestellten Bruttomonatsgehalt des Klägers von 4.376,00 Euro wären rechnerisch monatlich 514 Arbeitsstunden zum damaligen Mindestlohn „abgedeckt“.").
Beraterhinweis: Die Entscheidung ist ein Beleg dafür, dass in jedem einzelnen Fall genau zu prüfen ist, welche Vereinbarungen dem Fall zugrunde liegen und welcher genaue Sachverhalt zu bewerten ist. Vor allem zeigt die Entscheidung, dass es keinen Automatismus dahingehend gibt, dass Zeiten allein deswegen bereits als vergütungspflichtig anzusehen sind, weil man sie als Arbeitszeit einordnet. Das BAG wiederholt in der vorliegenden Entscheidung erneut die wesentliche Grundaussage, dass die Einordnung von Tätigkeiten als Arbeit und der dafür aufgewendeten Zeit als Arbeitszeit allein noch nicht die Frage ihrer Vergütung klärt.
Soweit es jedoch keine abweichende Regelung in Arbeit oder Tarifvertrag gibt, die die Vergütungspflicht ausschließt oder zumindest einschränkt, wären die Fahrten bei einer Fallgestaltung wie im vorliegend vom BAG entschiedenen Fall auch als vergütungspflichtige Arbeitszeit anzusehen. Dann wäre es arbeitgeberseitig zu erwägen, ob er die Arbeitsorganisation für die entsprechende Arbeitnehmergruppe ändert und die Montagefahrten stets vom Betrieb aus starten und enden lässt. Ob dies dann auch wirtschaftlich sinnvoll ist, ist im jeweiligen Einzelfall zu prüfen.
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner
E-Mail: kuehnel@vahlekuehnelbecker.de
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