Von DR. ARTUR KÜHNEL, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner
Bekanntermaßen hat der Betriebsrat bei so gut wie allen Maßnahmen und Regelungen zur Arbeitszeit nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG mitzubestimmen. Eine in der Praxis immer wieder gestellte Frage ist, ob und inwieweit dies auch für die Gewährung von Freizeitausgleich gilt.
1. Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Arbeitszeit
Der Betriebsrat hat ein weitgehendes Mitbestimmungsrecht bei Maßnahmen und Regelungen zur Arbeitszeit. Dieses folgt aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG. Mitbestimmung bedeutet hier, dass der Arbeitgeber Maßnahmen und Regelungen nicht einseitig, d.h. ohne Einigung mit dem Betriebsrat oder eine Ersetzung der Einigung durch die sog. Einigungsstelle umsetzten oder auch ändern darf (§ 87 Abs. 2 BetrVG). Das Mitbestimmungsrecht ist nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG nur ausgeschlossen, wenn und soweit der Arbeitgeber zwingend an einen Tarifvertrag gebunden ist und in diesem bereits eine zwingende und abschließende Regelung über die betreffende Maßnahme bzw. Regelung zur Arbeitszeit enthalten ist.
Nicht mitbestimmungspflichtig ist die Festlegung der Dauer der Arbeitszeit (Umfang: Wie viel?"). Hiervon weicht § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG begrenzt ab: Danach unterfällt die vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit (Hauptfälle: Kurzarbeit und Überstunden) der Mitbestimmung. Die Rückkehr von der vorübergehend verlängerten bzw. verkürzten Arbeitszeit zur "Normalarbeitszeit" soll hingegen nicht mitbestimmungspflichtig sein (so BAG vom 21.11.1978 - 1 ABR 67/76 zur vorzeitigen Beendigung von Kurzarbeit; in der Literatur aber umstritten).
Nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG unterliegen Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage und damit fast alle Maßnahmen und Regelungen zur Lage/Verteilung der Arbeitszeit ("Wann?") ebenfalls der Mitbestimmung des Betriebsrats.
2. Freizeitausgleich
Unter einem (konkreten) Freizeitausgleich wird typischerweise (d.h. vorbehaltlich abweichender insbesondere tariflicher Regelungen) Folgendes verstanden: Der Arbeitnehmer wird von seiner Verpflichtung zur Arbeitsleistung im konkreten Fall befreit und hierzu der Zeitpunkt und die Dauer der Arbeitsbefreiung festgelegt (etwa stunden- bzw. tageweise). Zweck der Befreiung ist es, dem Arbeitnehmer einen Ausgleich für diejenige Arbeitszeit zu geben, die er über die vereinbarte Arbeitszeit hinaus erbracht hat (insbesondere also für Plusstunden bzw. Überstunden), weil diese Arbeitszeit nicht in Geld abgegolten werden kann oder soll.
Gelegentlich sehen tarifliche oder gesetzliche Regelungen einen Freizeitausgleich auch zum Ausgleich von besonderen Erschwernissen vor (wie z.B. zum Ausgleich von Nachtarbeit in § 6 Abs. 5 ArbZG statt des ebenfalls möglichen finanziellen Zuschlags).
Nicht Gegenstand des vorliegenden Beitrags ist hingegen der vom konkreten Freizeitausgleich abzugrenzende sog. institutionalisierte (automatische) Freizeitausgleich durch Sollstundenreduzierung (vgl. BAG vom 17.11.2016 – 6 AZR 465/15). Bei diesem wird die vom Arbeitnehmer geschuldete Arbeitszeit automatisch verringert. Der Arbeitnehmer muss dann innerhalb des jeweiligen Ausgleichszeitraum, in dem die insgesamt geschuldete (Soll-)Arbeitszeit zu erbringen ist (z.B. 6 Monate oder ein Jahr), um die Zeiteinheit des Freizeitausgleichs weniger arbeiten. Eine Befreiung von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung im konkreten Fall durch Festlegung des Zeitpunkts und der Dauer erfolgt hier nicht.
3. Mitbestimmung bei Freizeitausgleich?
Eine in der Praxis immer wieder gestellte Frage ist, ob und inwieweit der Betriebsrat bei der Gewährung von (konkretem) Freizeitausgleich nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 und/oder 3 BetrVG mitzubestimmen hat.
Die Argumentation, die zum Teil gegen ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats angeführt wird, lautet wie folgt: § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG sei nicht einschlägig, da die Rückkehr von der vorübergehend verlängerten Arbeitszeit zur "Normalarbeitszeit" nicht mitbestimmungspflichtig sei. Und § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG greife nicht ein, weil die reine Arbeitsbefreiung keine Maßnahme oder Regelung zur Lage/Verteilung der Arbeitszeit ("Wann?") sei, sondern eine zur "Nichtarbeit".
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich mit dem Thema - soweit ersichtlich - bisher in zwei Entscheidungen bereits befasst:
- Im Jahr 2005 hatte das BAG in Zusammenhang mit einem Freizeitausgleich zum Ausgleich von Nachtarbeit in § 6 Abs. 5 ArbZG allgemein ausgeführt, dass bei der Ausgestaltung eines zu gewährenden Freizeitausgleichs ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG folgt (wegen des Gesundheitsschutzes daneben im Übrigen auch aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG). Es gehe dabei um die regelungsfähige und regelungsbedürftige Verteilung und Lage der Arbeitszeit (BAG vom 26.4.2005 - 1 ABR 1/04).
- Und im Jahr 2010 hatte das BAG eine Regelung über die Gewährung von Freizeitausgleich in einer Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit zu beurteilen und insoweit in Anknüpfung an die Entscheidung aus dem Jahr 2005 ausgeführt, dass eine Regelung zur Abgeltung durch Freizeitausgleich vom Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 BetrVG umfasst wird. Das gemäß nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG bei der Festlegung von Inhalt und zulässiger Schwankungsbreite eines Arbeitszeitkontos bestehende Mitbestimmungsrecht erfasse auch die Ausgestaltung eines zu gewährenden Freizeitausgleichs. Es gehe dabei um die regelungsfähige und regelungsbedürftige Verteilung und Lage der Arbeitszeit (BAG vom 9.11.2010 – 1 ABR 75/09).
Damit steht die Rechtsprechung des BAG der oben genannten Argumentation entgegen. Ein Mitbestimmungsrecht besteht insbesondere nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG (zum ebenfalls vom BAG angenommenen Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG sind dessen Ausführungen inhaltlich leider nicht sehr ergiebig).
Nur wenn und soweit ein konkreter Freizeitausgleich sich als individuelle Entscheidung eines Arbeitnehmers darstellt, angesammelte Arbeitszeit durch Freizeitausgleich abzubauen, ist diese nicht mitbestimmungspflichtig, weil insoweit kein kollektiver Bezug besteht. Der kollektive Bezug fehlt aber nur dann, wenn ausschließlich den individuellen Besonderheiten im einzelnen Arbeitsverhältnis Rechnung getragen wird und Auswirkungen sich gerade auf das Arbeitsverhältnis dieses Arbeitnehmers beschränken (vgl. BAG vom 22.9.1992 - 1 AZR 460/90). Dies dürfte aber selten der Fall sein. Beispiel: Der kollektive Bezug des Freizeitausgleichs fehlt, wenn der Arbeitgeber, in dessen Betrieb Überstunden wegen Personalmangels aktuell nur vergütet werden, dem Arbeitnehmer, der seinen Urlaub bereits komplett genommen, aber Überstunden angesammelt hat, einen freien Tag zum "Abbummeln" der Überstunden gewährt, damit dieser zu einem weiter entfernten Konzert fahren kann. Es fehlt dann an einem betrieblichen Regelungsbedarf. Der Freizeitausgleich erfolgt dann ausschließlich aufgrund eines individuellen "Regelungswunsches" des Arbeitnehmers.
4. Fazit
Wenn und soweit keine zwingenden (und abschließenden) tariflichen Regelungen bestehen, hat der Betriebsrat bei der Gewährung von (konkretem) Freizeitausgleich mitzubestimmen, es sei denn, es fehlt (ausnahmsweise) am kollektiven Bezug der konkreten Gewährung des Freizeitausgleichs.
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner
E-Mail: kuehnel@vahlekuehnelbecker.de
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