BAG zu Betriebsratsarbeit und Arbeitszeit i.S.d. ArbZG: 11stündige Ruhezeit verbindlicher Maßstab

Von DR. ARTUR KÜHNEL, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner

 

Ein Betriebsratsmitglied, das zwischen zwei Nachtschichten außerhalb seiner Arbeitszeit tagsüber an einer Betriebsratssitzung teilzunehmen hat, ist nach § 37 Abs. 2 BetrVG berechtigt, die Arbeit in der vorherigen Nachtschicht vor dem Ende der Schicht einzustellen, wenn nur dadurch eine ununterbrochene Erholungszeit von elf Stunden am Tag gewährleistet ist, in der weder Arbeitsleistung noch Betriebsratstätigkeit zu erbringen ist. In einer solchen Situation ist die Wertung des § 5 Abs. 1 ArbZG zu berücksichtigen. Es kann insoweit dahinstehen, ob die Zeit der Erbringung von Betriebsratstätigkeit Arbeitszeit iSv. § 2 Abs. 1 ArbZG ist.

 

BAG, Urteil v. 18.1.2017 – 7 AZR 224/15

 


Der klagende Arbeitnehmer ist Mitglied des im Betrieb der beklagten Arbeitgeberin gebildeten Betriebsrats. Er arbeitet im Dreischichtbetrieb und war in der Nacht vom 16. auf den 17.7.2013 für die Nachtschicht von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr bei einer Pause von 2:30 Uhr bis 3:00 Uhr eingeteilt. Am 17.7.2013 nahm er von 13:00 Uhr bis 15:30 Uhr an einer Betriebsratssitzung teil. Mit Rücksicht auf diese Betriebsratssitzung stellte er in der vorherigen Nachtschicht seine Arbeit um 2:30 Uhr ein. Ihm wurde für diese Nachtschicht von der Beklagten nur der Zeitraum bis 3:00 Uhr und von 5:00 Uhr bis 6:00 Uhr auf seinem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben. Mit der vorliegenden Klage hat der Kläger ua. die Gutschrift der beiden weiteren Stunden von 3:00 Uhr bis 5:00 Uhr verlangt.

 

Die Klage hatte vor dem 7. Senat des Bundesarbeitsgerichts - ebenso wie zuvor beim Landesarbeitsgericht - Erfolg.

Nach § 37 Abs. 2 BetrVG sind Mitglieder des Betriebsrats auch dann von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung ihres Arbeitsentgelts zu befreien, wenn eine außerhalb der Arbeitszeit liegende erforderliche Betriebsratstätigkeit die Arbeitsleistung unmöglich oder unzumutbar gemacht hat. Vorliegend war dem Kläger die Erbringung der Arbeitsleistung am 17. Juli 2013 jedenfalls ab 3:00 Uhr wegen der um 13:00 Uhr beginnenden Betriebsratssitzung unzumutbar, weil ihm bei Fortsetzung seiner Arbeit zwischen den Arbeitsschichten keine durchgehende Erholungszeit von elf Stunden zur Verfügung gestanden hätte. Nach § 5 Abs. 1 ArbZG ist dem Arbeitnehmer nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von elf Stunden zu gewähren. Es kann dahinstehen, ob die Zeit der Erbringung von Betriebsratstätigkeit Arbeitszeit iSv. § 2 Abs. 1 ArbZG ist und § 5 Abs. 1 ArbZG deshalb Anwendung findet. Jedenfalls ist bei der Beurteilung, ob dem Betriebsratsmitglied in einer solchen Situation die Fortsetzung der Arbeit in der Nachtschicht wegen der bevorstehenden Betriebsratstätigkeit unzumutbar ist, die Wertung des § 5 Abs. 1 ArbZG zu berücksichtigen.

 

Über eine weitere Klageforderung konnte der Senat nicht abschließend entscheiden. Insoweit wurde die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. (Anm.: Es geht dabei um den geltend gemachten Anspruch auf eine Zeitgutschrift für 1,25 Stunden für am 17. Juli verrichtete Amtstätigkeiten)

 

Quelle: Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts vom 18.1.2017, Nr. 1/17

 

Beraterhinweis:  Es ist bislang höchstrichterlich nicht geklärt, ob die Zeit der Erbringung von Betriebsratstätigkeit Arbeitszeit iSv. § 2 Abs. 1 ArbZG ist (dagegen: die Vorinstanz LAG Hamm vom 20.2.2015, 13 Sa 1386/14; LAG Niedersachsen vom 20.4.2015, 12 TaBV 76/14; LAG Schleswig-Holstein vom 30.8.2005, 5 Sa 161/05). Bejaht man diese Frage, muss auch die für Betriebsarbeit aufgewendete Zeit neben für die arbeitsvertragliche Tätigkeit aufgewandten Zeit bei der Anwendung der gesetzlichen Ruhezeiten (§ 5 Abs. 1 ArbZG) sowie der täglichen Höchstarbeitszeit (§ 3 ArbZG) berücksichtigt werden. 

 

Es besteht allgemein Einigkeit darüber, dass Betriebsratsmitglieder vor einer Überbeanspruchung durch Betriebsratsarbeit und arbeitsvertragliche Tätigkeit geschützt werden müssen. Die Rechtsprechung - so auch das BAG in der vorliegenden Entscheidung - gewährleistet diesen Schutz über § 37 Abs. 2 BetrVG: Danach sollen Betriebsratsmitglieder die vor bzw. nach der erforderlichen Betriebsratsarbeit anfallende arbeitsvertragliche Tätigkeit unter Fortbestehen des Vergütungsanspruchs verweigern können, wenn sie dadurch unzumutbar zeitlich belastet würden. Die bisher mit dem Thema befassten Landesarbeitsgerichte verfolgen dabei folgende Linie: Bei der Bestimmung der Zumutbarkeit hätten Betriebsratsmitglieder einen Beurteilungsspielraum. Hierfür könnten sie die Höchstarbeits- und Ruhezeiten nach dem ArbZG als Orientierung heranziehen.  Insoweit wurde bisher vertreten, dass im Einzelfall (bei insgesamt geringerer Beanspruchung) auch eine kürzere Ruhezeit als 11 Stunden oder eine über § 3 ArbZG Grenzen hinausgehende tägliche Arbeitszeit (inkl. Betriebsratstätigkeit) zulässig sein kann. 

 

Auch wenn das Bundesarbeitsgericht die Frage, ob die Zeit der Erbringung von Betriebsratstätigkeit Arbeitszeit iSv. § 2 Abs. 1 ArbZG  ist, auch in dieser Entscheidung offen gelassen hat, ist ein Teilbereich nunmehr geklärt: Die in 5 Abs. 1 ArbZG angeordnete 11stündige Ruhezeit ist auch für die Beurteilung der Zumutbarkeit nach § 37 Abs. 2 BetrVG der verbindliche Maßstab und nicht nur eine (grobe) Orientierungslinie.

DR. ARTUR KÜHNEL
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner
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