Von DR. ARTUR KÜHNEL, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner
Das BAG hat dem EuGH wegen Bezugs zum Europarecht folgende Fragen vorgelegt (vereinfacht):
1. Ergibt sich aus der europäischen Richtlinie zur Arbeitszeitgestaltung, dass der Arbeitnehmer seinen Urlaub aktiv beantragen muss, damit der Urlaubsanspruch am 31.12. bzw. zumindest am 31.03. des Folgejahres nicht ersatzlos untergeht? Ist der Arbeitgeber also nicht verpflichtet, von sich aus einseitig und für den Arbeitnehmer verbindlich den Urlaub festzulegen?
2. Gilt dies auch dann, wenn das Arbeitsverhältnis "nur" zwischen Privatpersonen bestand?
BAG, EuGH-Vorlage v. 13.12.2016 – 9 AZR 541/15 (A)
Der klagende Arbeitnehmer war vom 1.8.2001 bis zum 31.12.2013 beim beklagten Arbeitgeber beschäftigt. Mit Schreiben vom 23.10.2013 bat ihn der Beklagte, seinen Urlaub vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses zu nehmen. Der Kläger nahm am 15.11.2013 und am 2.12.2013 jeweils einen Tag Erholungsurlaub und verlangte mit Schreiben vom 23.12.2013 vom Beklagten ohne Erfolg die Abgeltung von 51 nicht genommenen Urlaubstagen. Die Vorinstanzen haben der Klage auf Urlaubsabgeltung stattgegeben.
Nach den nationalen Bestimmungen waren die Urlaubsansprüche des Klägers mit Ablauf des Urlaubsjahres 2013 verfallen. Gemäß § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG verfällt der im Urlaubsjahr nicht genommene Urlaub des Arbeitnehmers grundsätzlich am Ende des Urlaubsjahres, wenn - wie hier - keine Übertragungsgründe nach § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG vorliegen. Der Arbeitgeber ist nach nationalem Recht nicht verpflichtet, den Urlaub ohne einen Antrag oder Wunsch des Arbeitnehmers im Urlaubsjahr zu gewähren und somit dem Arbeitnehmer den Urlaub aufzuzwingen.
Die Frage, ob Unionsrecht dem entgegensteht, ist vom Gerichtshof der Europäischen Union noch nicht so eindeutig beantwortet worden, dass nicht die geringsten Zweifel an ihrer Beantwortung bestehen. Im Schrifttum wird aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 30. Juni 2016 (- C-178/15 - [Sobczyszyn]) teilweise abgeleitet, der Arbeitgeber sei gemäß Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG verpflichtet, den Erholungsurlaub von sich aus einseitig zeitlich festzulegen. Ein Teil der nationalen Rechtsprechung versteht die Ausführungen des Gerichtshofs der Europäischen Union im Urteil vom 12.6.2014 (- C-118/13 -[Bollacke]) so, dass der Mindestjahresurlaub gemäß Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG auch dann nicht mit Ablauf des Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraums verfallen darf, wenn der Arbeitnehmer in der Lage war, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen (vgl. LAG Köln 22.4.2016, 4 Sa 1095/15) .
Ferner besteht Klärungsbedarf, ob die vom Gerichtshof der Europäischen Union möglicherweise aus Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG oder Art. 31 Abs. 2 GRC entnommene Verpflichtung zwischen Privatpersonen unmittelbare Wirkung entfaltet.
Quelle: Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts vom 13.12.2016, Nr. 63/16
Beraterhinweis: Die Auffassung, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, Urlaub von sich aus zu gewähren, und dass der Urlaubsanspruch eben nicht verfällt, wenn der Arbeitnehmer zuvor keinen Urlaub beantragt hatte, haben bereits mehrere Landesarbeitsgerichte vertreten (neben der bereits oben genannten Entscheidung des LAG Köln auch: LAG München vom 6.5.2015, 8 Sa 982/14; LAG Berlin-Brandenburg vom 12.6.2014, 21 Sa 221/14). Dabei haben sich diese (auch) auf Europarecht berufen. Vor diesem Hintergrund ist die Vorlage des BAG an den EuGH nur folgerichtig, da der EuGH zur Auslegung europäischen Rechts berufen ist. Da der EuGH schon früher - gerade im Urlaubsrecht - für überraschende Entscheidungen gut war, ist die Fachwelt mit Prognosen vorsichtig. Bis zu einer Klärung verbleibt somit eine Rechtsunsicherheit.
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner
E-Mail: kuehnel@vahlekuehnelbecker.de
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Jan (Sonntag, 08 Januar 2017 17:21)
Was bedeutet das in der Praxis? Ihr Rat als Fachanwalt für Urlaubsrecht in Hamburg?
Dr. Artur Kühnel (Montag, 09 Januar 2017 10:19)
@Jan:
Ein Arbeitgeber kann sich bis zu einer Klärung auf den Standpunkt stellen, dass der Urlaub verfallen ist (so wie der Arbeitgeber in dem Fall, der zur Vorlage des BAG an den EuGH führte). Er kann aber auch den Urlaub von sich aus noch im Urlaubsjahr bzw. im Übertragungszeitraum gewähren, um den Urlaub "vom Tisch zu haben". In dem Fall, der zur Vorlage des BAG an den EuGH führte, hätte der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht nur bitten sollen, den Urlaub zu nehmen, sondern aktiv werden und den Urlaub schlichtweg gewähren, was in dem konkreten Fall der bevorstehenden Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch gegen den Willen des Arbeitnehmers geht (von besonderen Ausnahmefällen einmal abgesehen).
Ein Arbeitnehmer hingegen kann sich eben - wie der Fall, der zur Vorlage des BAG an den EuGH führte, zeigt - bis zu einer Klärung auf den Standpunkt stellen, dass der Urlaub nicht verfallen kann, wenn er vom Arbeitgeber nicht aktiv gewährt wird.
Th. Meier, Hamburg (Dienstag, 07 März 2017 14:22)
Wie lange ist der o.g. "Übertragungszeitraum"? Sieht das "Urlaubsrecht" vor, dass Urlaubsanspruch verfallen kann und dass dann weder ein Zwangsurlaub noch ein finanzieller Ausgleich zur Debatte stehen?
Dr. Artur Kühnel (Dienstag, 07 März 2017 14:35)
@Th. Meier:
1. Mit "Übertragungszeitraum" ist hier das erste Quartal des Folgejahres gemeint (siehe § 7 Absatz 3 Satz 3 des Bundesurlaubsgesetzes). Allerdings kann es sein, dass z.B. aufgrund tarif- oder arbeitsvertraglicher Regelungen ein abweichender (typischerweise längerer) Zeitraum zugrunde zu legen ist, in dem (wirksam) übertragener Urlaub aus dem Vorjahr noch genommen werden kann.
2. Ja, nach bisheriger höchstrichterlicher Rechtsprechung kann der Urlaubsanspruch verfallen (wird 7 Absatz 3 des Bundesurlaubsgesetzes "entnommen"). "Kann" meint hier: je nach Konstellation und Vorliegen der jeweiligen Voraussetzungen. Eine der streitigen Fragen ist eben Gegenstand des vorliegend vorgestellten Vorlagebeschlusses des Bundesarbeitsgerichts.