Von DR. ARTUR KÜHNEL, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner
Zeiten, die ein gewöhnlicher Arbeitnehmer im Zusammenhang mit der Erfüllung seiner Arbeitspflicht für Fahrten zwischen Wohnung und Betrieb aufwendet, sind nicht vergütungspflichtig. Da Betriebsratsmitglieder nach § 78 S. 2 BetrVG wegen ihrer Betriebsratstätigkeit nicht begünstigt werden dürfen, können für Fahrtzeiten, die ein Betriebsratsmitglied zur Wahrnehmung von Betriebsratsaufgaben aufwendet, keine anderen Maßstäbe gelten als für gewöhnliche Arbeitnehmer. Insoweit gewährt auch § 37 Abs. 3 BetrVG dem Betriebsratsmitglied keinen Anspruch auf Freizeitausgleich oder Vergütung für außerhalb der Arbeitszeit liegende Zeiten, die das Betriebsratsmitglied für Fahrten zwischen Wohnung und Betrieb allein zur Wahrnehmung von Betriebsratstätigkeit aufwendet.
BAG, Urt. v. 27.7.2016 – 7 AZR 255/14
Die Parteien streiten darüber, ob der Arbeitgeber dem Betriebsratsmitglied Fahrtzeiten vergüten muss. Der Arbeitgeber ist ein gemeinnütziger Verein für Menschen mit Behinderung. Er betreibt unter anderem einen Fachbereich „Assistenz in Schulen“. Die Klägerin ist als sog. persönliche Assistentin tätig, die behinderte Schüler während der Schulzeit unterrichtsbegleitend und unterstützend betreut. Während der Schulferien wird nicht gearbeitet. Ein Teil der Schulferien ist durch Urlaub abgedeckt. Der nicht durch Urlaub abgedeckte Rest der Schulferien ist unbezahlte Freizeit. Die Klägerin ist Betriebsratsmitglied. Sie macht unter Hinweis auf § 37 Abs. 3 BetrVG die Vergütung für insgesamt drei Stunden geltend, die durch Fahrten zwischen Wohnung und Betrieb angefallen sind. Die Fahrten erfolgten jeweils zu und von Betriebsratssitzungen, die während Schulferien, aber außerhalb des Urlaubs der Klägerin und somit insgesamt außerhalb ihrer Arbeitszeit stattfanden.
Nach § 37 Abs. 3 S. 1 BetrVG hat ein Betriebsratsmitglied zum Ausgleich für Betriebsratstätigkeit, die aus betriebsbedingten Gründen außerhalb der Arbeitszeit durchzuführen ist, Anspruch auf entsprechende Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts. Nach § 37 Abs. 3 S. 3 Hs. 1 BetrVG ist die Arbeitsbefreiung vor Ablauf eines Monats zu gewähren; ist dies aus betriebsbedingten Gründen nicht möglich, so ist nach § 37 Abs. 3 S. 3 Hs. 2 BetrVG die aufgewendete Zeit wie Mehrarbeit zu vergüten.
Das BAG hat entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Vergütung der Fahrzeiten und auch keinen Anspruch auf Freizeitausgleich gemäß § 37 Abs. 3 BetrVG hat. Zwar könnten auch Wege-, Fahrt- und Reisezeiten, die ein Betriebsratsmitglied zur Erfüllung erforderlicher betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben außerhalb seiner Arbeitszeit aufwende, einen Anspruch auf Freizeitausgleich gemäß § 37 Abs. 3 BetrVG oder bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen einen Vergütungsanspruch nach § 37 Abs. 3 S. 3 BetrVG auslösen, soweit sie mit der Durchführung der ihnen zugrunde liegenden Betriebsratstätigkeit in einem unmittelbaren sachlichen Zusammenhang stünden. Allerdings dürften Betriebsratsmitglieder nach § 78 S. 2 BetrVG wegen ihrer Betriebsratstätigkeit nicht begünstigt werden. Für die Bewertung von Fahrt- und Reisezeiten, die ein Betriebsratsmitglied zur Wahrnehmung von Betriebsratsaufgaben aufwende, könnten somit keine anderen Maßstäbe gelten als für Fahrtzeiten, die ein Arbeitnehmer im Zusammenhang mit der Erfüllung seiner Arbeitspflicht aufwende. Zur Wahrnehmung von Betriebsratstätigkeit erforderliche Fahrtzeiten könnten demnach dann, wenn auch entsprechende Fahrtzeiten von Arbeitnehmern im Zusammenhang mit der Erfüllung der Arbeitspflicht nicht vergütungspflichtig seien, keinen Anspruch auf Freizeitausgleich und keinen Vergütungsanspruch nach § 37 Abs. 3 S. 3 BetrVG auslösen. Und mit dem Ehrenamtsprinzip (§ 37 Abs. 1 BetrVG) sei es nicht vereinbar, dass Betriebsratsmitglieder durch ihre Betriebsratstätigkeit zusätzliche Vergütungsansprüche erwerben würden.
Praxishinweis: Die Entscheidung zeigt anschaulich, dass nicht jedes Freizeitopfer eines Betriebsratsmitglieds vom Arbeitgeber auszugleichen ist. Zu beachten ist aber, dass für die Erstattung von Fahrtkosten als Aufwendungsersatz ein anderer Maßstab gilt: Nach der Rechtsprechung des BAG ist der Arbeitgeber nach § 40 Abs. 1 BetrVG zur Erstattung der Reisekosten verpflichtet, die dem Betriebsratsmitglied für die Fahrten von seiner Wohnung zum Betrieb deshalb entstehen, weil es außerhalb seiner Arbeitszeit Betriebsratstätigkeit ausübt und den Betrieb ausschließlich aus diesem Grund aufsuchen muss (BAG, Beschluss v. 16.1.2008 - 7 ABR 71/06). Dies ist kein Widerspruch und beruht darauf, dass der Arbeitgeber aufgrund gesetzlicher Anordnung grundsätzlich alle durch die Betriebsratstätigkeit entstehenden Kosten zu tragen hat. Bereits wegen des Benachteiligungsverbots des § 78 S. 2 BetrVG dürfen dem Betriebsratsmitglied durch die Erfüllung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben keine wirtschaftlichen Nachteile entstehen. Diese Kosten sind vom Gesetzgeber somit anders geregelt worden als dies Vergütung, für die insbesondere aus dem in § 37 Abs. 1 BetrVG normierten Ehrenamtsprinzip, den Regelungen in § 37 Abs. 2 und 3 BetrVG sowie dem in § 78 S. 2 BetrVG geregelten Begünstigungsverbot eben etwas anderes gilt.
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner
E-Mail: kuehnel@vahlekuehnelbecker.de
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Anne-Katrin (Freitag, 20 Januar 2017 11:33)
Sehr geehrter Herr Dr. Kühnel,
ich danke Ihnen für diesen interessanten Beitrag. Ich war an einem Betriebsrat mitbeteiligt und war mit dem Problem konfrontiert, dass einige Mitglieder ihre Aufgaben als Grund für außergewöhnliche Privilegien verstanden und jeden Einsatz als Benachteiligung ihrer Freizeit sahen.
Die Arbeit im Betriebsrat muss einen erfüllen. Wenn es nur für Ärger sorgt – sollte man sich überlegen, ob es die passende Tätigkeit ist. Der Beitrag hier beschreibt es sehr gut: https://www.brwahl.de/de/betriebsrat-was-ist-das/warum-betriebsrat-werden . Die Erfahrung als Betriebsratsmitglied kann man ja kaum unterschätzen. Und die Betriebsratsmitglieder erledigen ihre Aufgaben innerhalb ihren üblichen Arbeitszeiten und werden dementsprechend nach Bedarf freigestellt. Allerdings, bringt ein Einsatz im Betriebsrat auch viele Sorgen und Probleme mit. das muss man in Kauf nehmen.
Dr. Artur Kühnel (Freitag, 20 Januar 2017 11:47)
Sehr geehrte Anne-Katrin,
danke für Ihren Kommentar und Ihre Schilderung. Es freut mich, dass Ihnen der Beitrag gefallen hat.
Mit besten Grüßen